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Bei den Mönchen des Klosters Shaolin

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Sie waren schon eine Legende, als sie vor vielen Jahrhunderten von Chinas Kaisern zu Hilfe gerufen wurden, denn ihre Kampfkünste machten sie unbesiegbar: die Waffen galten als unnachahmlich, die präzise Beherrschung von Körper und Geist schien unerreichbar. An dieser Überlegenheit zerbrachen scharenweise die Feinde.

Legendär ist heute noch ihr täglicher Drill, die gnadenlose Abhärtung von Hand- und Fußkanten, ihre atemberaubende Sprung- und Schnellkraft, die in hartem Training gestählten Muskeln, die Kontrolle des Geistes über den Körper. Mystiscl wirkt die typische Haltung, mit der sie Richtung Himmel und Erde greifen, um von dort Energie zu holen und diese dort zu konzentrieren, wo ein spektakulärer Schlag oder eine Waffe auftreffen werden. Legendär sind aber auch ihre Demut und ihre Spiritualität. Die Kampfmönche des Klosters Shaolin, am Fuße des Songshan-Gebirges in Norden Chinas.

Gegründet 495 nach Christus, ist Shaolin auch heute noch ein beeindruckendes geistiges und religiöses Zentrum des Landes. Hier, in einer Höhle oberhalb des Klosters, so erzählt die lokale Fremdenführerin, begründete der legende nach der indische Mönch Bodhidharma den Zhan-Buddhismus. Er, den die Chinesen Da Mo nennen, erneuerte hier die Lehre Buddhas. Dabei entstanden auch jene speziellen Atemübungen und -techni-ken, mit deren Hilfe die Mönche die körperlichen Abhärtungen und stundenlangen Meditationen ertragen lernten.

Seit vielen Jahrhunderten öffnen sich die Tempeltore des Shaolin (junger Wald) zur Meditation und zum Erlernen des Kung-Fu, dieser faszinierenden Kunst der Selbstverteidigung. Ausländer sind gern gesehen; auch Österreicher zieht es hierher.

Angezogen fühlten sich schon immer viele, aber nur wenige ertrugen die harte körperliche Arbeit im Kloster und auf den Feldern.

In der Blütezeit des Tempels lebten rund 1.500 Mönche hier, unter ihnen 500 Kämpfer, nach den Grundsätzen: Disziplin, Selbstbeherrschung, Bescheidenheit und Achtung vor dem menschlichen Leben. Die Kampfkünste, entstanden aus der Verteidigung gegen wilde Tiere und streunende Banditen, im Laufe der Zeit zur höchsten Blüte gebracht, sollten nicht die Gewalt fördern, sondern der Entwicklung von Gesundheit und Geist dienen. Noch heute praktizieren die 30 noch verbliebenen Kampfmönche (neben 80 meditierenden Mönchen) in freier Natur jene Übungen, die ihnen ihre Meister als Da Mo's Lehre seit vielen Generationen übermitteln.

Der jüngste im Kloster ist fünf Jahre alt. Sein Meister, ein 76jähriger Mönch, hat sich dank ständiger Übung die Geschmeidigkeit eines jungen Körpers bewahrt. Diese Übungen wurden seit Menschengedenken von den Lehrern an ihre Schüler weitergegeben, die ihnen nach ihrem Tod im Pagodenwald neben dem Kloster ein Denkmal setzten.

Zu sterben, aber nicht zu vergehen, ist ewige Gegenwart, sagt eine buddhistische Weisheit:

Hier, im Pagodenwald des Shaolin-Tempels, stehen insgesamt 240 Grabdenkmäler. Unter diesen werden Asche und Kleidung der Verstorbenen aufbewahrt. Die Anzahl der Stockwerke und die äußere Form der Pagoden unterscheiden sich nach dem jeweiligen Rang und der Beliebtheit des Meisters. Der Stil weist auf die entsprechende Epoche hin, erklärt die einheimische Begleiterin. Manche sind rund, manche eckig oder spitz, einige schon im Zerfallen. Die höchste Pagode zählt sieben Stockwerke, die höchste erreichbare Meisterschaft...

In den unzähligen Sportschulen rund um den Shaolin-Tempel bereiten sich junge Menschen aus allen Teilen Chinas auf die Aufnahme im Kloster vor. Nicht alle wollen Mönche werden. Sie rechnen sich mit der Ausbildung eher gute Chancen als Leibwächter für (neu-)reiche Chinesen oder als Schauspieler in den beliebten Kung-Fu-Filmen aus.

Inzwischen lebt bereits der ganze Ort Shaolin von den diesen Schülern und den Besuchern des Klosters. Souvenirläden und fliegende Händler haben sich längst breit gemacht. Die Beschaulichkeit des einst so stillen Ortes hat sich in ein lautes, buntes Treiben verwandelt. An manchen Tagen, sagt unsere Fremdenführerin, kommen bis zu 40.000 Touristen in ihren stinkenden Bussen, machen viel Lärm, werfen ihren Müll achtlos weg.

Aber das Shaolin hat schon vieles überdauert ...

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