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Braucht der Zirkus Sägespäne;

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Zwei Zirkusse, zwei Enden eines Spektrums. Der Cirque de Soleil am Wiener Messegelände bietet Artistik in höchster Vollendung, kommt aber ohne Tiere und ohne Manege aus: Zirkus mit einem hochästhetisch durchgestylten Programm. Im Zirkus Althoff-Jacobi beim Donaupark hingegen (Foto unten rechts) finden wir den guten, alten Traditionszirkus mit Tieren (aber ohne Raubtiernummer). Und mit Artistik, die zum Teil neu ist und es zum anderen Teil nicht notwendig hat, neu zu sein, um noch immer atemberaubend zu sein. Hier spritzen noch die Sägespäne. Das Alt-hoff-Zelt ist aber nicht voll. Der kanadische Cirque de Soleil wirkt wie ein Staubsauger, der dem Traditionszirkus, wenn er ihm in die Nähe kommt, die Publikumsmassen wegsaugt.

Das ist freilich kein Wunder. Wie Regisseur Franco Dragone hier loslegen läßt, das ist beeindruckend. Eine kurze Clownnummer - schon folgt eine Frau auf dem Trapez, folgen Menschen wie Gummibälle, alles dargeboten mit Leichtigkeit und Tempo, die das ganze Programm auszeichnen und bis zum Schluß durchgehalten werden. Die Nummern sind erste Klasse. Doch erst die Leichtigkeit, ja Beiläufigkeit, läßt sie besonders erscheinen.

Der Cirque de Soleil wirkt neu und aufregend vor allem dank seiner Regie, seinen artifiziellen Kostümen (Foto unten links), dem durchgezogenen ästhetischen Konzept - eine Idee, die wohl erstmals Bernhard Paul gemeinsam mit Andre Heller im Zirkus

Boncalli verwirklichte. Daneben wirkt der Traditionszirkus, so er nicht sehr, sehr gut ist, sehr leicht alt.

Aber schlägt der neue den alten deshalb wirklich aus dem Feld? Gewiß, die Clownerie des Zirkus Althoff-Jacobi hat dringend ein Facelifting nötig, sie versinkt in Routine. Aber der Pas de deux zu Pferde ist genauso, wie man ihn sich erwartet, das quer übers Hochseil gelegte Schaukelbrett ist beängstigend, und die Nummer des kleinen ungarischen Artisten, der von seinen auf dem Trampolin springenden Kollegen in die Luft katapultiert wird und mit Saltos, die kein Laie nachzuzählen vermag, auf den Schultern eines Mannes landet, der auf den Schultern eines Mannes steht, der auf den Schultern eines Mannes steht, gehört heute zum Repertoire der Artistik.

In den letzten zehn oder 15 Jahren hat sich die Zirkuslandschaft so differenziert, fand jede Art Zirkus so viel Publikum, daß man sich um keinen, der auf seine Weise Qualität bietet, ernste Sorgen machen muß.

Der Österreichische Nationalzirkus unter seinem Prinzipal Louis Knie, der im Frühjahr im Prater gastierte, wurde allabendlich gestürmt. Die 1995 verstorbene Elfi Althoff-Jacobi hatte 1972 den aus gesundheitlichen Gründen stillgelegten Zirkus des unvergeßlichen Karl Rebernigg gekauft, ihn 1993 an Louis Knie verkauft und sich aus der Manege verabschiedet, aber schon 1994 einen neuen gegründet.

Die alternativen Zirkusse, die beispielsweise gern beim Fest auf der Donauinsel gastieren, hatten nicht nur Einfluß auf die Entwicklung vor allem der Clownerie, sondern kommen dem Vernehmen nach auch ebenfalls gut über die Runden. Hier empfangen die Clowns neue Impulse, hier wurde der Zirkus mit Handlung (nach Voltaires Candide, der ja genug Abenteuer erlebt) statt des bekannten Nummernprogramms erfunden.

Zirkus kann auch reich machen. Immerhin stifteten mindestens zwei Zirkusunternehmer Museen. Die Schweizer Zirkusdynastie Knie, die neuerdings einen österreichischen Ableger hat, widmete im Vorjahr dem Städtchen Rapperswil am Zürichsee das erste Zirkusmuseum der Schweiz. Es kann sich natürlich nicht mit dem Kunstmuseum messen, das der Zirkuskönig der USA, Barnum, einst Florida schenkte. Was aber die Einkünfte betrifft, hat der Cirque de Soleil vielleicht sogar schon Barnum überholt - sein Jahresumsatz wird auf 700 bis 800 Millionen Schilling geschätzt, entsprechend hoch sind die Gewinne. Auch der Zirkus Boncalli (siehe furche 35/97) ist eine Goldgrube.

Der Cirque de Soleil ist mit zwei Zelten unterwegs, die zweite Truppe grast derzeit mit dem Programm „Saltimbanco” Japan ab. Er betreibt ein festes Haus in Las Vegas. Ein zweites in Las Vegas und eines in Montreal, das 25 Millionen kanadische Dollar kostete und zur Hälfte mit öffentlichen Mitteln finanziert wurde, stehen vor der Eröffnung, über feste Häuser in Berlin und Leipzig wird geredet. Darüber, ob Zuschüsse aus öffentlichen Mitteln für solche Zwecke zu rechtfertigen sind, kann man streiten. Auch darüber, ob es sich dabei noch um Zirkus handelt - oder nicht doch um eine neue Spielart des guten, alten Variete.

Die beiden Gummikinder (Foto Mitte) sind Weltspitze. Schlicht begeisternd. In der Trapeznummer gibt es Sprünge, die man in Wien noch nicht gesehen hat. Nur die Manege mit den Sägespänen fehlt. Sie gehört zum echten Zirkus wie die Pferde. Während aber die Showelemente, die manche Zirkusse in den fünfziger Jahren zu integrieren suchten, zirkusfremd waren, wird ein Hauch von der neuen Ästhetik a la Boncalli und Cirque de Soleil dem Traditionszirkus nicht schaden.

Denn Sägespäne allein sind zu wenig, und weiterentwickeln muß sich alles, was nicht untergehen will.

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