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Ingo Schulze erzählt in "Handy. Dreizehn Geschichten in alter Manier" vom Ungeheuerlichen und Unauffälligen: vom Leben.

Wie mache er das bloß: derart kunstvoll kunstlos zu schreiben? Die Frage erging an Ingo Schulze, als dieser unlängst den "Preis der Leipziger Buchmesse" erhielt. Ingo Schulze kokettierte und gab die Antwort, die diese Frage verdient: die Formel dafür liege in einem Schweizer Tresor.

Auch Handy, Schulzes Dreizehn Geschichten in alter Manier, kokettieren, zum Beispiel mit der Erkennbarkeit des Autor-Ichs in den Texten. Schulze führe "den Leser in ein Spiegelkabinett von Fiktion und Realität, in dem die Literatur mitunter das Vorbild für das Leben abzugeben scheint", so begründete die Jury ihre Entscheidung und: "In beiläufigem, scheinbar kunstlosem Ton entwirft Schulze Alltagssituationen, die unvermittelt eine existentielle Dimension offenbaren und die gesellschaftlichen Umbrüche unserer Gegenwart sichtbar machen."

Das auf den ersten Blick Schmucklose ist so kunstlos nicht, das Alltägliche ist ganz und gar nicht banal, sondern oft hoch dramatisch, und zitiert und verwiesen wird viel, etwa auf eigene Bücher des Autors. Vor allem aber wird erzählt. Und mit welchen "Pointen": wenn etwa der Mann seine Frau am Ende auf den Mund küsst, küssen muss, aus dem eben gerade noch Erbrochenes rann. Geschichten, nach deren Lektüre man staunt. Das war's? Das war's.

"Jeder macht sich über die Frage, was denn der Dichter gemeint habe, lustig, doch einen Augenblick später wird genau diese Frage gestellt, und niemand merkt es.", heißt es einmal, und man könnte ergänzen: manche Autoren teilen (leider) in ihren Texten dem Leser mit, was sie gemeint haben. Ingo Schulze tut dies nicht.

"Vielleicht hatte ich nur zu viel getrunken." So beginnt der kurze Text, dessen Titel auch kokettiert: "Keine Literatur oder Epiphanie am Sonntagabend." Ein Epiphanieerlebnis schwächt den Realitätssinn, zeitgemäßer ist es da schon, dieses Erlebnis zu relativieren, Alkohol "wäre die einfachste Erklärung". Man grillt, es ist heiß, man trinkt Bier und noch eines, es ist noch immer heiß, der Tag ist lang und man trinkt noch einen Prosecco und noch einen. Dann taucht ein Kind auf mit der schlichten Frage "Dahs is?" und eine Orangenschale "und mit ihr das Wunder, dass es die Orangenschale und uns und alle und alles gab". Das war's. Und, wie gesagt, Alkohol ist als treibende Kraft bei diesem Erlebnis nicht auszuschließen. Das schmälert aber nicht die Bedeutung des Moments. Hier leuchtet etwas im Alltag auf. Bald schon krabbeln die Ameisen auf der Orangenschale herum. Der Moment ist vorbei. Die Sehnsucht danach bleibt.

"Sobald ich es aber ausspreche, wird es Nonsens." Da werde verschwafelt, was erzählt werden wollte, hieß es in der NZZ. Doch ohne dieses "Geschwafel" würde diese Geschichte gar nicht funktionieren. Außerdem: das Problem kennt wohl jeder, der einmal versucht hat, ohne Pathos Epiphanieerlebnisse zu erzählen. (Aber wer hat schon welche. Und wer erzählt sie dann.) Nicht jeder kann schließlich ein Handke sein.

So erweisen sich diese kunstvoll-kunstlosen Geschichten vor allem als Versuch, schlicht und einfach etwas so Ungeheuerliches und Unauffälliges wie das Leben zur Sprache zu bringen, und zwar ungeheuerlich und unauffällig. Dass bei all dem auch der Humor nicht zu kurz kommt, beweist der fahrradfahrende Bär in Estland. Und freilich geht es immer wieder - worum denn sonst - um Mann und Frau.

Ingo Schulze fühlte sich als Preisträger am Podium etwas fehl am Platz, neben Saul Friedländer, der den "Preis der Leipziger Buchmesse" in der Kategorie Sachbuch/Essayistik für Die Jahre der Vernichtung. Das Dritte Reich und die Juden 1939-1945 erhielt, und neben Swetlana Geier, ausgezeichnet für ihre Übersetzung Ein grüner Junge von Fjodor Dostojewskij. Ob Schulzes Handy das herausragendste Werk dieser literarischen Saison ist, sei dahingestellt. Aber bei Preisverleihungen geht es nicht nur darum. Bücher kommen ins Gespräch, es soll gelesen werden: dieses Buch oder eines der Nominierten oder ein anderes. Was sagte Ingo Schulze in Leipzig zum Publikum: Kümmern Sie sich überhaupt nicht um die Empfehlungen der Jury.

Aber zu diesem Zeitpunkt hatte er natürlich schon leicht reden.

Handy Dreizehn Geschichten in alter Manier

Von Ingo Schulze

Berlin Verlag, Berlin 2007

280 Seiten, geb., € 20,50

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