Der Agent aus dem Amt

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Fritz Kolbe galt als wichtigster Spion im Kampf gegen den Nationalsozialismus. Ein Buch erweist ihm nun die längst fällige Ehre.

Als vor wenigen Jahren amerikanische Geheimdienstdokumente aus dem Zweiten Weltkrieg der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden, tauchte ein sonderbarer Name auf: George Wood. Zuständig für Spionageaufgaben im Berlin der 40er Jahre. Ein amerikanischer Spion mitten unter den Nazis? Aber George Wood alias Fritz Kolbe entsprach nicht gerade dem Bild eines Agenten, das Filme und Romane liefern. Kein Trenchcoat, keine amourösen Abenteuer, aber dafür umso mehr Waghalsigkeit.

Von 1943 bis 1945 übermittelte dieser in Deutschland völlig unbekannte Mann über 1.600 hoch brisante Dokumente an den US-Geheimdienst. Weiters lieferte Wood durch seine unzähligen mündlichen Erzählungen ein präzises Bild der Stimmung im nationalsozialistischen Deutschland. Seine Informationen waren so präzise, dass die Amerikaner lang an seiner Glaubwürdigkeit zweifelten. Und das Ungewöhnlichste war: er verlangte kein Geld dafür, tagtäglich sein Leben zu riskieren. Wären die von ihm beschafften Dokumente früher auf den Tischen der amerikanischen Befehlshaber gelandet, der Krieg wäre wohl früher beendet gewesen.

Naiver Beamter

Fritz Kolbe war ein mittlerer Beamter im Auswärtigen Amt des Dritten Reichs. Klein, unscheinbar und aus der Sicht seiner Kollegen naiv, hätte ihm wohl niemand zugetraut, für seine Einstellung sein Leben zu riskieren. Allen Dulles, Leiter des US-Geheimdienstes in Europa, staunte nicht schlecht, als ihn dieser Mann 1943 in Bern besuchte. In seinem Hosenbein versteckt schmuggelte er unter anderem einen Lageplan der "Wolfsschanze", des geheimen Hauptquartiers Hitlers über die deutsche Grenze. Sein oberstes Ziel war es, den Krieg so schnell wie möglich zu beenden und Deutschland zu befreien. Durch seinen Zugang zu unzähligen diplomatischen Depeschen lieferte er den Amerikanern neben wertvollen Informationen über japanische Stützpunkte im Pazifik auch Namen von pro-deutschen Spionen in den Botschaften der Alliierten. Für seine Vorgesetzten galt er als absolut loyal, wodurch er selten in Verdacht kam, obwohl er ständig um diplomatische Missionen in die Schweiz ansuchte.

Der französische Journalist Lucas Delattre wurde auf diese geheimnisvolle Persönlichkeit aufmerksam und schrieb eine bemerkenswerte Biografie. Akribisch studierte er die Geheimdienstdokumente, stöberte er durch die Archive des Auswärtigen Amtes und fand Kolbes Nachlass in Australien. Sein Buch ist aber mehr als die Aneinanderreihung von Daten und Fakten. Die Lebensgeschichte Kolbes liest sich wie ein Spionagethriller. Populärwissenschaftliche Faselei ist ihm aber nicht vorzuwerfen. Ein ausführliches Register gibt Auskunft über die unzähligen Quellen, die diesem Buch zu Grunde liegen.

Vergessener Held

In Deutschland ist Fritz Kolbe vergessen. Auf einer Ehrentafel des Auswärtigen Amtes, auf der alle im Widerstand tätigen Diplomaten geehrt werden, fehlt sein Name. Das Image eines Vaterlandsverräters umgibt seine Person. Schließlich habe er ja sein Land verraten, unabhängig davon, wer dieses Land regierte. Aus diesem Grund schaffte es Kolbe nach dem Krieg nicht, in Deutschland wieder Fuß zu fassen. Alte Seilschaften im diplomatischen Dienst verhinderten seine Wiedereinstellung.

Kurz vor seinem Tod schrieb Kolbe an einen Freund: "Mein Bestreben war, den Krieg für mein unglückliches Volk abzukürzen, den Unglücklichen in den KZs weitere Leiden ersparen zu helfen. [...] Mein gerechtfertigtes Verhalten in der Nazizeit brauche ich mir von niemandem bescheinigen zu lassen. Meine Ehre kann mir deshalb niemand nehmen, auch nicht zurückgeben." Dieses Buch ist jedoch ein Anfang.

FRITZ KOLBE

Der wichtigste Spion des Zweiten Weltkriegs

Von Lucas Delattre

Aus d. Französischen v. Michael Bayer

Piper Verlag, München 2004

398 Seiten, Abb. auf 16 Tafeln,

geb., e 23,60

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