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Ein Seliger und viele

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Es sind nicht mehr als fünf oder sechs Holzgestelle, nicht mehr als etwa hundert zeitgenössische Gelegenheitsphotos und etliche brave, von frommen Seelen hergestellte Zeichnungen, die man auf gut österreichisch als „patschert” bezeichnen könnte - und das ist alles so arm und bescheiden, so wahrhaft franziskanisch, daß der Touristenstrom daran vorüberschlendert und daß die modernen Aktivmenschen (auch die katholischen) sich nicht die Zeit nehmen, innezuhalten und zu verweilen.

Wem aber, der sich die Zeit genommen hat, in der Wiener Minoritenkirche vor den wenigen Holzgestellen zu verweilen, sich die Lesebrille aufgesetzt hat, um die bestür- zenden Einzelheiten dieser viel zu klein geratenen Dokumentation zu entziffern - wem hätte es da nicht die Kehle zugeschnürt, wer hätte am Ende nicht die Tränen nieder- gek&mpft?

Maksimilian Kolbe als junger Ordensgeistlicher, als Japan-Missionar, als Marienverehrer, als Zeitungsherausgeber und Manager, als geistiger Initiator einer Ordensgemeinschaft - das gibt es öfters auf dem weiten katholischen Erdenrund. Aber dann kommt jenes Photo, das Kolbe auf dem Marsch ins Konzentrationslager zeigt, kaum mehr erkennbar Unter seinen Mitbrüdern, bewacht von einem radelnden SS-Menschen, der in die Kamera grinst. Und dann kommen die Aufnahmen aus Auschwitz, man kennt sie ja bereits. Aber den eigentlichen, den unfaßbaren Augenblick, den konnte nur eine ungeschickte Zeichnung rekonstruieren. Den Augenblick (wer vermag ihn innerlich nachzuvollziehen?), in dem Kolbe vortrat und bat, anstelle eines Familienvaters in den Hungerbunker gehen und anstelle dieses Mithäftlings dort sterben zu dürfen. Der Augenblick, in dem die Wachmannschaft (wer wird dergleichen je yersteh’n?) das Opfer hohnlächelnd annahm. Vierzehn Tage lang verhungerte Kolbe. Verhungern ist kein Heldentod in offener Feldschlacht und kein Minutentod vor dem Exekutionspeloton oder unter der Guillotine. Das ist ein elendigliches, kraftloses Verdämmern ohne die Nackenstütze gerechten Stolzes und ohne den Schlußakkord einer grausigen Apotheose. Das dauerte so lange, daß es am Ende den Henkern zu lange und daher zu langweilig wurde, daß sie Kolbe mit einer Giftspritze „erlösten”, weil sie die Hungerzelle bereits für andere Opfer benötigten. Und sie ahnten nicht, was sie taten, als sie Kolbes Leichnam am Tage der Himmelfahrt Mariens, der Regina Poloniae, verbrannten und seine Asche über die polnische Erde verstreuten. Und es kam dann auch die Glorie der Seligsprechung in Sankt Peter, der Tag, an dem der Gerettete, der an Kolbes Stelle überlebte, in der vordersten Reihe zwischen vielen anderen begeisterten Polen saß, Kelch und Patene zum Altar trug und dann, in die Knie brechend, an der Brust des Papstes hemmungslos zu schluchzen begann.

Es ist gut und erfreulich, daß Österreich sich der Helden und Heiligen seiner einstigen Brudervölker (zu denen ja auch die Polen zählen) freut. Warum aber will Österreich von seinen eigenen Helden nichts wissen, Helden, von denen doch einige auch Heilige gewesen sein könnten? Wie wäre es, im Verlauf eines objektiven (Selig- sprechungs-)Prozesses einmal zu untersuchen, was es mit jenem Jä- gerstätter (und Jägerstätter war nicht der einzige!) denn auf sich hatte? Ein Prozeß ist noch kein Urteil.

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