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Ein Heiliger als Ankläger?

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P. Maximilian Kolbe, ein polnischer Priester aus dem Minoriten- orden — vielen als Held von Auschwitz bekannt — wurde am 17. Oktober in traditioneller Feierlichkeit seliggesprochen. Rolph Hochhut hat vor einigen Jahren diesem Priester das Theaterstück „Der Stellvertreter“ gewidmet. Aus kirchenpolitischer Rücksicht hätte Pius XII. zum Völkermord an den Juden geschwiegen und nicht alle Möglichkeiten zur Rettung politisch und rassisch Verfolgter ausgeschöpft. Diese Geschichtsthese vertritt Hochhut und indem er sein Theaterstück dem Märtyrer Kolbe zueignet, sieht er in ihm einen schweigenden Ankläger gegen weite kirchliche Kreise jener Zeit. Hochhut hat Protest und Beifall geerntet. Hätten kirchliche Aktionen und scharfe Proteste gegen die Unmenschlichkeit des NS-Regi- mes auch einen positiven Erfolg gehabt? Viele bezweifeln das mit Recht.

Eine eindeutige Antwort darauf wird man wohl nie geben können.

Ist Kolbe, dessen überlebensgroßes Bild während der Seligsprechungsfeier in St. Peter verehrt wird, zum Ankläger und Kritiker seiner Kirche geworden?

Doch fragen wir Kolbe selbst. Sein Tod liegt kaum 30 Jahre zurück, er war 47 Jahre alt, als man ihn ermordete.

Kolbe ist ein moderner Missionar, der seiner Zeit weit voraus ist. In der von ihm gegründeten Klosterstadt Niepokalanow stehen 700 Ordensleute — die allermeisten Nichtpriester — im Dienste des Presseapostolates. Die Armut wird hier streng gelebt, doch will Kolbe auf keine moderne Erfindung verzichten. Presse, Film und Radio werden in den Dienst der Frohbotschaft gestellt. Männer mit Spezialausbildung, Journalisten und Techniker gehören zur Ordensfamilie und arbeiten für die eine Idee, den Mitmenschen ein besseres und schöneres Leben durch den Glauben an Christus zu zeigen.

Nach dem Vorbild des Ordensgründers Franz von Assisi, weiß er sich zu allen Menschen gesandt. Er verläßt die polnische Heimat und gründet unter schwierigsten Verhältnissen eine Mission in Japan; sie gehört heute zu den blühendsten unseres Ordens.

Der zweite Weltkrieg bereitet sieh vor. Es folgt die Invasion Polens. Die Klosterstadt wird aufgelöst und Kolbe inhaftiert. Das Angebot, nach Deutschland zu gehen — sein Vater war Deutscher — lehnte er ab. Nur kleine Abstriche von seinem missionarischen Ideal hätten ihn vor dem KZ Auschwitz bewahrt. Er bleibt ein Mann der Treue, er paktiert nicht, er geht seinen Weg, den Weg den Jesus und die Propheten gegangen sind. Als Häftling vermag er immer wieder andere zu trösten und ihnen die wahre Freiheit zu zeigen. „Unsere Seelen können sie nicht töten.“ Seine Liebe schließt seine Feinde nicht aus, er verzeiht den Peinigern. Ein Zeuge berichtet: „Während des Aufenthaltes im Lager habe ich bei ihm keinerlei Haß gegen die Unterdrücker gespürt. Nicht nur selbst betete er für die Deutschen, sondern er bat auch uns, für sie zu beten.“ Für einen Mitgefangenen, der beim Morgenappell mit neun anderen aus den Reihen geholt wird — für einen Entflohenen sollten sie sterben —

bietet P. Kolbe spontan sein Leben an. Nach zehn Tagen Hungerbunker spritzt man ihm ein tödliches Gift. Am 15. August 1941, dem Fest der Himmelfahrt Mariens, verbrennt man seinen Leichnam. Der Mitgefangene, für den Kolbe stellvertretend sein Leben hingab, lebt noch und wird an der Seligsprechung seines Retters teilnehmen.

Heilige haben eine für uns Durchschnittschristen unverständliche Liebe. Die Kirche gibt uns — sich selbst — in solchen Menschen ein Vorbild, das heißt aber, daß der Weg eines so beispielhaften Christen allen anderen, auch der kirchlichen Gemeinschaft, zum Vorwurf, vielleicht auch zur Anklage werden muß.

Lassen wir uns von diesem Mann Kolbe persönlich ins Herz treffen. Er war kein Apostolats-Manager, auch keiner, der bereits war, durch gute Ziele Mittel und Wege zu heiligen. Er sah sein ganzes Lebenswerk untergehen, die Treue zu seinem Volk und die Liebe zu allen Menschen waren ihm aber heiliger. Wenn uns dieser Mann in seiner grenzenlosen Liebe und in seiner Lebenshingabe kein heilsamer Vorwurf wäre, so hätten wir ruhig auf seine Seligsprechungsfeier in St. Peter verzichten können.

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