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Konnersreuth - selbst erlebt

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Nun ist Therese Neumann, die Stigmatisierte von Konnersreuth, die ihre Stigmen in der Fastenzeit 1926 erhielt, am 18. September im 64. Lebensjahr verstorben. Ihr Leben wurde zu einem „Fall“, zum „Fall von Konnersreuth“ für die, die das Überirdische m den Freitagserscheinungen des einfachen Bauernmädchens nicht gelten lassen wollten, ein „Wunder von Konnersreuth“ für jene, die in dem Nachempfinden der Leiden Christi eine Glaubensangelegenheit sehen, an deren Echtheit nicht zu zweifeln ist.

Dieser scharfe Gegensatz kommt Jetzt auch in den Nekrologen deutlich zum Ausdruck. Während gläubige Christen und die. ihnen nahestehende Presse auf das Übernatürliche in dem Leben, in der Tatsache des wöchentlich wiederkehrenden Nachempfindens der Leiden Christi hinweisen, spricht die--weltanschaulich auf der anderen Seite -istehende -Presse h vow “dual psychiätrischeni'Rätsel, vorfc einem! Geheimnis, das die Verstorbene mit sich ins Grab genommen hat. Man erfährt aus dieser Stellungnahme, daß die Psychiater in ihrem Urteil „zwischen Hysterie und unvorstellbar tiefem religiösen Denken“ schwanken. So wie in den zwanziger Jahren ...

Konnersreuth ist im Jahre 1927 breiteren Schichten der Weltöffentlichkeit bekannt geworden. In dieser Zeit bemächtigte sich die Weltpresse des Falles der Therese Neumann. Immer wieder erschienen neue Werke über die Stigmatisierte, auch manche, deren Verfasser ihrer Person und ihrem Mysterium gegenüber kritisch eingestellt waren. Daß Konnersreuth bis heute ein aktuelles Problem geblieben ist, mag vor allem darin liegen, daß diejenigen Gegner Konnersreuths, die den Fall nicht mit der Verlegenheitsbezeichnung wie „Produkt, der Hysterie“ abtun wollen, noch immer keine Erklärung für das Mysterium gefunden haben. Da sie an das Vorhandensein übernatürlicher Kräfte nichjt glauben können und wollen, bleibt für sie Konnersreuth weiterhin ein ewiges Rätsel.

Und was bedeutete es für uns, die an einem trüben Septembermittag im Jahre 1927 vor dem bescheidenen Haus des Pfarrers Naber in Konnersreuth in Schlange standen und geduldig warteten, bis wir in das Haus hineingelassen wurden, um Augenzeugen des Martyriums eines jungen, leidenden Menschen zu sein? Aus aller Welt sind die Autobusse hierher geeilt, mit elegant angezogenen Frauen, gutsituierten Männern. Manche sind angesichts des Kommenden in Gedanken und Schweigen versunken, manche sahen wir heiter plaudernd, wie in der Pause einer Theateraufführung. Man schämte sich nicht wenig, als man auch von sich selbst mit Recht festzustellen' glaubte, daß eigentlich die Neugierde, das bevorstehende interessante Erlebnis einen hierher geführt hat, und nicht ein religiöses Empfinden. Später aber, angesichts der schweren Leiden des in Trancezustand im Bett liegenden Mädchens wurde man gewahr, daß die Neugierde durch eine andere Empfindung zurückgedrängt wurde: durch das Mitfühlen mit dem leidenden Menschen, der vor unseren Augen ein Geschehnis aufrollt, das sich vor zweitausend Jahren in einer Entfernung von tausenden Kilometern abgespielt hat. Man hat das sichere Gefühl, daß man Augenzeuge eines Erlebnisses ist, das auf natürliche Weise nicht erklärt werden kann.

Damals, 1927, waren es schon 3 Jahre, daß die Stigmatisierte keine Nahrung mehr zu sich genommen hat. Ebensoviele Jahre sind es, daß die Freitagsekstasen regelmäßig wiederkehren. Sie begannen schon am Donnerstag und dauerten den ganzen Freitag fort. An diesem Tag begannen die Wunden zu bluten; dies ninwut jnit-der fortschreitenden Passion des Heilands an Stärke zu, besonders das Bluten des Herzens. In dem Augenblick, in dem die Stigmatisierte jene Station des Leidensweges Christi erreicht, in der ihm die Dornenkrone auf das Haupt gesetzt wird, fangen die Kopfwunden der Stigmatisierten ebenfalls zu bluten an. Alle Leiden widerspiegeln sich im Gesicht der Stigmatisierten, alle Leiden erlebt sie mit, alle ihre Bewegungen zeugen hiefür: verzweifelt streckt sie ihre Arme aus, ihr Körper windet sich unter den furchtbaren Schmerzen der Peitschenhiebe der Häscher. Die Schmerzen steigern sich immer mehr, die Leidende versucht, aus ihrer Haarkrone die Dornen herauszureißen. Und im Augenblick des Todes des Heilands, genau um 14 Uhr 5 5 Minuten, hört das Leiden der Stigmatisierten auf, um nach einer Woche von neuem zu beginnen. Inzwischen aber, schon am Samstag, jst die Stigmatisierte wieder gesund, sie geht ihrer normalen Beschäftigung nach, sie ist frisch, körperlich und seelisch recht beweglich. Ihr Gedächtnis, das ihr die genaue Rekonstruktion des Erlebten ermöglicht, ist staunenswert.

Die, welche als Gläubige nach Kon-nersreuth pilgern, die, die Wahrheit und nicht Sensation suchen, wurden durch das Miterleben der Freitagspassion der Therese Neumann in ihrem Glauben gestärkt. Aber auch die Zahl jener ist nicht unbeträchtlich, die als Skeptiker hieher kamen, aber als Gläubige von dannen ziehen. Es gibt auch solche, die einer anderen oder gar keiner Konfession angehören. Zu ihnen zählte auch eine weit links stehende Wiener Persönlichkeit, Herausgeber und Chefredakteur einer Wiener Tageszeitung, Besitzer der Aktienmehrheit einer Wiener Weltfirma, die einst im öffentlichen Leben Wiens eine ziemlich große Rolle spielte: Dr. Benno Karpeles. Er hörte und las über Konnersreuth und begann sich für den „Fall“ zu interessieren. Er fuhr nach Konnersreuth, vielleicht, wie mancher andere vor ihm, in der Absicht, dort den „Fall“ zu enthüllen. Er sah dann Therese Neumann in der Ekstase, als sie die Leiden des Herrn am Karfreitag miterlebte. Dr. Karpeles, der Freimaurer, wurde durch dieses erschütternde seelische Erlebnis dem katholischen Glauben zugeführt. Für die, die jemals Zeugen der miterlebten Passion Therese Neumanns waren, war die Bekehrung des Wiener Finanzmannes kaum mehr als eines der vielen ähnlichen Ereignisse. Ein junger Rothschild, ein Nichtgläubiger, wurde unter den Eindrücken Konnersreuths ebenfalls Katholik, ja katholischer Priester.

Aber auf viele von Uns, die das erste Mal im Jahre 1927 in Konnersreuth .waren, machte der Fall des Chefredakteurs der damaligen Münchner Neuesten Nachrichten, Dr. Fritz Gerlich, den tiefsten Eindruck. Gerlich war Protestant, ein Calvinist, der für religiöse Mysterien nichts übrig hatte. Aber als Münchner Journalist mußte er von Therese Neumann Kenntnis nehmen, denn Konnersreuth liegt doch auf bayrischem Boden. Er schickte einen seiner Mitarbeiter hin, dessen positiv eingestellte Berichterstattung aber dem freisinnigen Publizisten nicht gefallen konnte, so daß er selbst dorthin fuhr, um die Wahrheit über Konnersreuth persönlich zu erforschen — und festzustellen —, natürlich, um sie dann in seiner weitverbreiteten Zeitung zu verkünden. Er wurde dann einer der ersten aus dem gegnerischen Lager, die erkannten, daß die Erscheinungen Therese Neumanns mit Hysterie, mit irgendeiner seelischen Krankheit nichts zu tun haben, daß vielleicht ihre Wundmale durch ihr intensives religiöses Leben noch irgendwie erklärt werden könnten, nicht aber ihre an Freitagen regelmäßig wiederkehrenden Ekstasen, ganz und gar nicht aber ihr Leben ohne jedwede Nahrungsaufnahme durch viele Jahre hindurch. Seine Erkenntnis zwang ihn, die Wahrheit zu entdecken, wohl im umgekehrten Sinn, als er ursorünglich beabsichtigte. Mit seltenem Eifer, mit beispielloser Gründlichkeit und Gewissenhaftigkeit lö_ste ej die sich.selbst gestellte Aufgabe. In zwei recht ansehnlichen Bänden teilt er dann die Ergebnisse seiner persönlichen Untersuchungen und Beobachtungen der Öffentlichkeit mit. Er versäumte aber auch seine publizistischen Pflichten als Chefredakteur seiner großen Zeitung nicht. In deren Spalten führte er einen erbitterten Kampf gegen die drohende Unfreiheit eines nationalsozialistischen Regimes. Als dann die „Machtübernahme“ erfolgte, hat die Rache seiner Feinde nicht lange auf sich warten lassen. Er kam in das Konzentrationslager Dachau, wo er ermordet wurde.

In dieser Zeit, in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre, ist Konnersreuth zum Fanal aller kirchenfeindlichen Aktionen geworden. In seinem Namen loderte der Kampf aller materialistisch eingestellten Schichten gegen die Kirche empor. Da es keine übernatürlichen Kräfte, geschweige Wunder, geben kann, so muß Konnersreuth als das Produkt einer hysterischen, einer in kirchlichen Interessen als Werkzeug mißbrauchten Frau bekämpft und abgetan, und sie selbst als Schwindlerin entlarvt werden. Allgemein wurde eine strenge ärztliche Untersuchung des Falles verlangt. Dieser Forderung wurde insofern auch Rechnung getragen, als sich Therese Neumann • einer strengen ärztlichen Kontrolle unterwerfen mußte.

Eine fünfzehntägige ärztliche Untersuchung, an der auch der bekannte Universitätsprofessor Dr. Ewald teilnahm, endete mit der Feststellung, daß die Kranke während der ganzen Zeit nicht die geringste Nährung zu sich nahm. Auf diese Feststellung muß schon deshalb hingewiesen werden, weil in einem vor einigen Jahren erschienenen Werk von gegnerischer Seite immer wieder — auch in den bis heute bekannt gewordenen Nachrufen — die Frage der ärztlichen Kontrolle aufgerollt wurde. Die Gegner Konnersreuths waren mit den Ergebnissen der ärztlichen Untersuchung nicht einverstanden. Ihr Standpunkt ist, daß es

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jahrelang zu leben. Wäre,dies möglich,.; dann würde man einem Wunder gegenüberstehen. Wunder aber gibt es nicht.

Um aber Konnersreuth ganz zu „erledigen“, es vollständig aus der Welt zu schaffen, müßte es durch eine Tat kompromitiert werden. Man produzierte einen männlichen Stigmatisierten, der als ungläubiger Konfessionsloser beweisen sollte, daß die Wundmale keineswegs ein Gnadengeschenk für religiöse Fanatiker sind, sondern daß sie durch starken Willen auch von antireligiös eingestellten Menschen hervorgerufen werden können. Wie dies zum Beispiel ein junger Bergwerksarbeiter aus Schlesien tat. Den schickte man sogar auf Reisen, um vor den Augen eines gleichgesinnten Publikums Wundmale zu „produzieren“ und sie bluten zu lassen. Er kam auch nach Wien, und wir, die ihn sahen, hatten gleich den Eindruck, daß er mit seinen „blutenden Wundmalen“ kein schlechtes Geschäft machte. Denn er wohnte hier in einem eleganten Appartement des Grand-Hotels. Dort geruhte er auch den Schreiber dieser Zeilen zu einer Unterredung zu empfangen und versuchte, mit weitschweifigen Erklärungen die Echtheit seiner Stigmata zu beweisen, und natürlich auch, daß die Wundmale Therese Neumanns mit Übernatürlichem nichts, aber schon gar nichts zu tun hätten. Einige Zeit nach seiner Wiener Gastrolle wurde er als Schwindler entlarvt, worauf er von seinen Entdeckern und Brotgebern fallengelassen wurde. Er verschwand und tauchte nie mehr vor der Öffentlichkeit auf.

Auch auf diese Weise konnte also Konnersreuth nicht erledigt werden, wohl aber vermochten dies die Nazis zu tun, aber natürlich auch nur auf die Dauer ihrer Herrschaft. Sie haben Konnersreuth einfach mundtot gemacht, niemals durfte der Name dieses kleinen Dorfes an der deutsch-tschechischen Grenze in der deutschen Presse erwähnt werden. So wußte man bis zum Kriegsende nicht, ob Therese Neumann noch lebte, um so weniger, da sie oft als tot gemeldet wurde. Erst nach dem Zusammenbruch konnten wir über sie eine verläßliche Nachricht erhalten: sie lebte. Ja, sie lebte noch 17 Jahre nach Beendigung des zweiten Weltkrieges...

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