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Die Lärm-Dämonen

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Von den Stau b-Dämonen war schon die Rede: seit dem Fluch über die Erde schwirrt und wirbelt und sehmutzt der Staub in Lungen und auf Tischen, in der Luft und im Bett. Die zu kleinsten Teilen zerriebene, aufgebrauchte Erde umgaukelt den Menschen und — der Mensch ist machtlos dagegen. Er kann den Staub sammeln, zusammenkehren und verlagern, aber er bleibt Staub. — Die L ä r m-Dämonen stammen nicht aus Gottes Fluch über den Menschen, sondern aus des Menschen Arbeit an der Erde: seit wir mit den primitivsten Werkzeugen die Erde bearbeiten, um sie uns Untertan zu machen, gibt es Lärm. Je mehr wir arbeiten, je intensiver wir den Grundstoffen der Erde ihre Energien entreißen, um so ärger wird der Lärm. Er wirkt wie eine Legion von Dämonen — wie Legionen von Legionen von Dämonen in der Welt. Denn der Lärm nistet sich ein, wo er nicht sein müßte. Muß er schon bei der Arbeit sein — bei der Muße müßte er nicht sein. Die Lärm-Dämonen gehören in den Werktag — am Sonn- und Feiertag sollte der Mensch sie austreiben, um ihnen nicht dienen zu müssen. Aber wir haben uns ins Werken so sehr verliebt, daß wir die Teufelsnähe schon nicht mehr spüren, sie kaum entbehren können. Wir vermissen den Lärm, wenn wir nicht arbeiten, denn wir haben uns an die vielen einzelnen, die kleinen und die großen, die aufdringlichen und die leise tropfend eindringlichen Geräusche allzusehr gewöhnt. Die Geräuschkulissen sonntäglicher Motorräder und Autos, die „akustische Raumberieselung“ unserer sich totlaufenden, ungehör-ten Radioapparate, der ganze Klangkörper der Großstadt und der Gasthausbetriebe — das gehört zu unserer Welt. Der Lärm wächst, die Dämonen nehmen an Macht zu. Sie verbinden sich mit den Dämonen der Eile, der Schnelligkeit und Hetze. Und treiben und ziehen und fordern und verführen zu immer neuem Lärm in immer größerer Schnelligkeit. Der Lärm ist eine Großmacht geworden: ist da, setzt sich durch und gewinnt immer mehr an Boden und Bedeutung. Das All-Vermögen des Lärms sickert überall ein und zerstreut die letzten Reserven der Ruhe.

Lärm ist zerriebene Ruhe. Lärm ist aufgelöste Stille, Lärm ist atomisiertes Schweigen. Lärm ist Zerstreuung des Geistes — zerstreuter Geist des Schweigens, der Stille und der Ruhe.

Weil in jedem Lärmfetzen, in jedem Lärmpartikel noch eine Ahnung der Stille liegt, wirkt der Lärm als Macht: als zerstörte, zerstörende Macht. Und das ist die Dämonie des Lärms. Der Teufel ist ein zerstörter Engel, der es darauf absieht, alles um sich her zu stören und zu zerstören. So ist und so wirkt der Lärm aus seiner verwirkten Herkunft: er stammt aus der gesammelten Macht des Schweigens und der Stille, die ihm nur noch ausreicht, Seele und Umwelt des Menschen zu zersetzen. Die Stille und das Schweigen und die Ruhe sind konzentrierte Macht des Geistes. Wer sich selbst aus allen bunten Gassen der Sinne und den viel zuvielen Begriffen und Worten gesammelt hat, der allein hat Macht: Hat Macht des Geistes und der Seele und der Sinne und damit Macht über die Erde als Kosmos von Kräften und Energien. Alles Große in der Welt stammt aus der sammelnden Auslese, die einer aus dem Ganzen der Welt herausliest. Der Engel der Stille, der den Gebeten Macht verleiht. Der Engel des Schweigens, der in den Worten mächtig wird. Der Engel der Ruhe, der die Kraft unserer Bewegungen wirkt: die Engel sammeln; die Dämonen zerstreuen. Nun kann der Mensch wählen: welchen leitenden Kräften er in sich und um sich die Macht verleiht. — Wer nicht an Engel und nicht an Dämonen glaubt, ist am schlimmsten daran, denn er kennt nicht die tr.eibenden Kräfte des Weltgeschehens, denen der Mensch ausgesetzt ist. Wer die großen Geister der Finsternis und des Lichtes leugnet, ist bereits Gefangener der anonymen, der namenlosen Dunkelkräfte. Denn den Lichtmächten muß der Mensch sich willig und gläubig öffnen — Leugnung ist bereits Verfallenheit .an die Dämonen.

Gegen die Lärm-Dämonen schützt sich der Mensch durch heiteres Schweigen, durch gesammeltes Gebet und dadurch, daß er ,,in seinem Zimmer bleibt“. Dann hebt er die zerstreute Macht „Lärm“ auf und gewinnt die konzentrierte Macht „Geist“ ... „Wer es fassen kann, der fasse es!“

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