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Die Ursprungsidee beruht auf der Geschichte seines Großvaters: Mark Buhl kann sie raffiniert und spannend umsetzen.

In der deutschsprachigen Literatur sind - vor allem bei den Wichtigtuern und-machern - die so genannten Kanons über alles beliebt. Der eine und andere Literaturkardinal kann deshalb seine geistesschweren Bücherkoffer edieren. Langsam ließe sich in der bundesdeutschen Belletristik gleichsam ein Bewältigungskoffer zum Nationalsozialismus montieren, wobei verdutzt, dass die Autorinnen und Autoren noch immer an dieser Zeit würgen, obwohl sich bereits ein anderes interessantes Thema anbieten würde: Genosse Erich selig samt seinem verflossenen Arbeiter-und Bauernstaat.

Einer von vielen

Allein in der Furche wurden in den letzten Jahren mehrere gelungene und wichtige Entlastungs-und Klärungsbände vorgestellt: Friedrich Christian Delius' Mein Jahr als Mörder, Dagmar Leupolds Nach den Kriegen, Gudrun Seidenauers Der Kunstmann beispielsweise. Seidenauers Roman wäre natürlich eine österreichische Leihgabe. Marc Buhls Billardzimmer reiht sich aber nahtlos in diesen Katalog.

Marc Buhls Buch ist raffiniert in der Komposition und spannend in der Schreibe, verschränkt er doch zwei Paralleltexte zu einem - großteils - beklemmenden Roman über die Widersprüche eines deutschen Jahrhunderts. Geschickt bewegt er sich auch auf dem Grat der Frage nach der individuellen Verantwortung, die keine individuelle Schuld braucht.

Die Geschichte spielt einerseits im Konstanz der Kriegszeit und anderseits in einer geradezu wehtuenden Gegenwart mit Amerika-Ausflug. Der jüdische Pianist Helmut Spiegler und seine Ehefrau Eva Spiegler versuchen vergeblich, über die Grenze in die Schweiz, die in diesen mörderischen Zeiten eine total restriktive Asylpolitik praktiziert, zu flüchten. Nur einer könne ihnen helfen, heißt es, der schwer reiche Immobilienhändler und Rechtsanwalt Gero von Nohlen, der Häuser geflüchteter Juden verwaltet. Von Nohlen nimmt sie als vorgeschützte Verwandte in sein Haus auf, wo sie ihre nächsten Jahre verbringen. Sie werden zu Gefangenen im "Billardzimmer", in dem letztlich ihre Liebe zerbricht. Die aufkeimenden und ausgelebten Gefühle kosten schließlich ein Menschenleben, das in Dachau endet.

Den Baum ausreißen ...

Die tragischen Ereignisse bleiben sechzig Jahre verborgen, bis Gero von Nohlens gleichnamiger Enkel bei Festschrift-Recherchen zur Lebensgeschichte seines nach dem Krieg hoch ausgezeichneten und belobigten Großvaters die Lebenslüge entlarvt und entgeistert feststellt, dass man den Baum, der in der Allee der Gerechten in Yad Vashem den Namen des vermeintlichen Judenretters trägt, samt den Wurzeln ausreißen müsste.

Marc Buhl formuliert seine Geschichte(n) präzis und findet auch für die Verzweiflung adäquate Worte. Wohltuend ist, dass er die narrative Spannung nicht mit moralischen Nuancen verfärbt. Aus der "Geschichte über den reichen und gerechten Mann" wird sukzessive eine "Horrorgeschichte über einen perfekt getarnten Mörder". An einer Stelle meint der Enkel verdrossen, er "hätte ihm Schweinereien zugetraut, aber keine Geschmacklosigkeiten", was aber eher beschönigend klingt.

Schuld und Verantwortung

Der Wechsel von Rhythmus und Perspektive gelingt Marc Buhl anstandslos, was ihm insgesamt nicht ganz glückt, ist die Kunst, unbewältigte Zeitgeschichte von leichterer Unterhaltung zu trennen. Verzweiflung ist das eine, munter und spekulativ erzählte Passagen sind das andere. Seinem schriftstellerischen Können tut dies keinen Abbruch, fraglich ist jedoch, ob in einem Roman, in dem die Frage nach Schuld und Verantwortung anklingt, der ernste Grundton stellenweise zugunsten der Kolportage zum Verstummen gebracht werden soll.

Die Ursprungsidee für das Buch beruht auf historischen Tatsachen, was Marc Buhl bei einer Lesung in Frankfurt am Main zu verstehen gegeben hat. Sein Großvater habe im Jahr 1941 in seinem Konstanzer Haus ein jüdisches Paar beherbergt und vor der Mordmaschinerie geschützt. Der Unterschied zum Roman: Dieser Großvater hat sich offensichtlich wie ein Held verhalten. Solche Großväter hat es auch gegeben.

DAS BILLARDZIMMER

Von Marc Buhl

Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2006

318 Seiten, Leinen, Euro 19,90

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