Drei Dichter aus Czernowitz

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Wir heben Gräber in die Luft und siedeln Mit Weib und Kind an dem gebotnen Ort. Wir schaufeln fleißig, und die andern fiedeln, Man schafft ein Grab und fährt im Tanzen fort.

ER will, daß über diese Därme dreister Der Bogen strenge wie sein Antlitz streicht: Spielt sanft vom Tod, er ist ein deutscher Meister, Der durch die Lande als ein Nebel schleicht.

Und wenn die Dämmrung blutig quillt am Abend, Öffn' ich nachzehrend den verbißnen Mund, Ein Haus für alle in die Lüfte grabend: Breit wie der Sarg, schmal wie die Todesstund.

ER spielt im Haus mit Schlangen, dräut und dichtet, In Deutschland dämmert es wie Gretchens Haar. Das Grab in Wolken wird nicht eng gerichtet: Da weit der Tod ein deutscher Meister war.

Jedes Mal, wenn ich dieses Gedicht "ER" von Immanuel Weißglas lese, empfinde ich eine Mischung aus Ver-und Bewunderung. Und Trauer. 1920 in Czernowitz geboren, gehörte Weißglas zum reichen emanzipierten deutschsprachigen Judentum dieser vor dem Ersten Weltkrieg österreichischen Stadt, wie auch Paul Celan, der aber vom Vater, der Zionist war, zum Hebräischlernen geschickt wurde. In Weißglas' Fremdsprachenliste, die ähnlich lang ist wie bei Celan, ist Hebräisch nicht verzeichnet. Dafür konnte er hervorragend Klavier spielen und tritt damit nach dem Krieg in Bukarest auf. In Bukarest ist er 1979 nach langer Krankheit gestorben.

Symbol seines Volkes und dessen Geschichte

Die deutsche Sprache war für beide Familien die Muttersprache, was man über den dritten großen Dichter aus Czernowitz, Itzik Manger (1901-1969, gest. in Israel), der in einem armen Schneiderhaus aufgewachsen ist, nicht sagen kann. Er konnte, wie die anderen Bukowina-Dichter, alle Sprachen der Umgebung, behielt aber die "Mame-Loschn", das Jiddische. Diese Sprache führte ihn 1929 nach Warschau, wo ein reges jiddisches Literaturleben existierte, dann ließ sie ihn am provisorischen Denkmal für die Opfer des Aufstandes im Warschauer Getto seine berühmten Worte sagen: "Früher kam das Volk zum Grab seiner Dichter. Jetzt kommt der Dichter zum Grab seines Volkes." Diese Worte machten ihn zu mehr als einem Dichter -zum Symbol seines Volkes und dessen Geschichte.

Ich werde mich an der traurigen Diskussion über die "Todesfuge" nicht beteiligen. Jeder darf selbst urteilen. Celan kannte "ER"(1947) noch in Czernowitz. Veröffentlicht wurde das Gedicht erst 1970, in der rumänischen deutschsprachigen Zeitschrift Neue Literatur. Man hat mir erzählt, dass man eben dieses Heft auf Celans Schreibtisch gefunden habe, nachdem er aus der Seine gefischt worden war.

Aber wir werden Immanuel Weißglas nicht auf ein Gedicht reduzieren -er hat viele großartige geschrieben. Sein Werk wird im Aachener Rimbaud Verlag seit Jahren gepflegt, aber dieses Büchlein "Immanuel Weißglas" aus dem Hause der berühmten ostdeutschen Lyrikedition "Poesiealbum" (Märkischer Verlag 2017, Auswahl von Kathrin Schmidt) ist auch wichtig, weil es einen neuen Leserkreis für Weißglas erschließt.

Itzik Manger hatte keine Beziehung zu Deutschland, zur deutschen Kultur. Für ihn waren die Deutschen nur Mörder seines Volkes. Celan wie Weißglas hatten im Inneren eine nicht heilende Wunde abbekommen: Die deutsche Kultur, Deutschland, die in ihnen seit der Kindheit als Mythos lebten, hatten sich als Mörder erwiesen. Davon handelt die "Todesfuge", davon "ER", davon viele Gedichte von beiden.

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