ausländer - © Rose Ausländer Stiftung

Rose Ausländer: "... von einem Strahl irdischer Gnade"

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Trotz aller Trostlosigkeit hält die jüdische Dichterin Rose Ausländer in ihrer Lyrik am Glauben an eine schönere Welt fest. Zum 100. Geburtstag.

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Trotz aller Trostlosigkeit hält die jüdische Dichterin Rose Ausländer in ihrer Lyrik am Glauben an eine schönere Welt fest. Zum 100. Geburtstag.

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Im seidigen
Maiengrün
einer Frühlingsnacht
bin ich
geboren
erzählte mir
meine Mutter

Der Frühling ist
mein liebstes Alphabet

Als vor hundert Jahren, am 11. Mai 1901, Rosalie Beatrice Scherzer alias Rose Ausländer als zweites Kind des in der jüdisch-orthodoxen Tradition erzogenen Kaufmanns und Prokuristen Süssie alias Sigmund Scherzer und seiner Ehefrau Etie Rifke Scherzer in Czernowitz/Bukowina geboren wurde, standen die ungeheuren Entwicklungen und die menschenverachtenden Zerstörungen des Jahrhunderts noch bevor.

Die Stadt am Pruth, damals Metropole eines Kronlandes der Habsburger Monarchie, später Zentrum eines rumänischen Landesteiles, heute Hauptstadt der Westukraine, war eine Stadt von Schwärmern und Anhängern. Deutsche, Ukrainer, Juden, Rumänen sowie Minderheiten von Polen und Madjaren bildeten die 170.000 Einwohner, mehr als ein Drittel der Bevölkerung war jüdisch. In den Erinnerungsgedichten von Rose Ausländer ist immer wieder vom Buchenland die Rede. Und auf die Frage, warum sie schreibe, antwortete sie einmal in einer kurzen biographischen Notiz: Vielleicht weil ich in Czernowitz zur Welt kam, weil die Welt in Czernowitz zu mir kam. Jene besondere Landschaft. Die besonderen Menschen, Märchen und Mythen lagen in der Luft, man atmete sie ein. Das viersprachige Czernowitz war eine musische Stadt.

Dieser mythisch-mystischen Sphäre entstammen außer Rose Ausländer große Persönlichkeiten des Ostjudentums, deutsche und jiddische Schriftsteller wie Paul Celan, Alfred Margul-Sperber, Immanuel Weißglas, Gregor von Rezzori, Selma Meerbaum-Eisinger, Elieser Steinbarg ...

In der Familie Scherzer wurde deutsch gesprochen, Rose Ausländer besaß von Kindheit an Kenntnisse in Hebräisch und Jiddisch. Ihr Vater hatte noch beim Wunderrabbi von Sadagora studiert und vermittelte der Tochter die Erinnerung an die orientalische Tradition, auch wenn er später die liberalere Haltung des westeuropäischen Judentums annahm: ... Bäume aus heiligen Buchstaben streckten Wurzeln/ von Sadagora bis Czernowitz/ Der Jordan mündete damals in den Pruth - / magische Melodien im Wasser/ Der Vater sang sie lernte und sang das / Erbe der Ahnen verwuchs mit / Wald und Gewässern! ... (aus: Der Vater in: Immer zurück zum Pruth).

Die Studentin der Literatur und Philosophie emigrierte nach dem Tod des Vaters aufgrund materieller Nöte 1921 in die USA. Dort heiratete sie 1923 ihren Studienfreund Ignaz Ausländer, von dem sie sich drei Jahre später wieder trennte. 1931 kehrte Rose Ausländer nach Czernowitz zurück, um die kranke Mutter zu pflegen. Schon 1928 hatte Alfred Margul-Sperber, Leiter des Bukowiner Kulturwerkes, Entdecker und Förderer Rose Ausländers, sie als eine der größten ihm bekannten dichterischen Begabungen gepriesen. Nun begann sie eine rege Publikationstätigkeit. 1939 erschien ihr erster Lyrikband Der Regenbogen.

Schreiben war Leben

Weitere Veröffentlichungen waren für die Jüdin unmöglich, denn 1941 besetzten die Nationalsozialisten Czernowitz und errichteten ein Getto für die jüdische Bevölkerung. In einem Kellerversteck überlebte Rose Ausländer gemeinsam mit ihrer Mutter und ihrem Bruder, während die Deportationen liefen. Gegenüber dieser Realität von Getto, Elend, Terror, Todestransporten gab es für Rose Ausländer nur zwei Alternativen: Entweder man gab sich der Verzweiflung preis, oder man übersiedelte in eine andere Wirklichkeit, die geistige. Wir zum Tode verurteilten Juden waren unsagbar trostbedürftig. Und während wir den Tod erwarteten, wohnten manche von uns in Traumworten - unser traumatisches Heim in der Heimatlosigkeit. Schreiben war Leben. Überleben.

Trost fand sie in der Beschäftigung mit der Literatur und mit ihren eigenen Texten. Im Zyklus Gettomotive, im Gedichtband Blinder Sommer und im Band 36 Gerechte sind die Gedichte zusammengefasst, mit denen Rose Ausländer die Zustände im Getto, ihre Erlebnisse und Gefühle sprachlich gestaltete:

Mit giftblauem Feuer

Sie kamen mit giftblauem Feuer
Versengten unsere Kleider und Haut.

Der Blitz ihres Lachens schlug an unsere Schläfe
Unsere Antwort war der Donner Jehovas.

Wir stiegen in den Keller, er roch nach Gruft.
Treue Ratten tanzten mit unsern Nerven.

Sie kamen mit giftblauem Feuer unser Blut zu verbrennen.
Wir waren die Scheiterhaufen unserer Zeit.


(aus: Die Erde war ein atlasweißes Feld. Gedichte 1927 - 1956)

Dieses Anschreiben gegen Angst, Verfolgung und Not, Einsamkeit, Verzweiflung und Leiden entwickelte sich in ihr immer weiter zu einer Lyrik des Dennoch, bestärkte die Dichterin auch vier Jahrzehnte später als unheilbar Kranke, als "Pflegefall" im Altenheim, sich selbst angesichts der bedrängenden Wirklichkeit nicht aufzugeben, dem Sterben schreibend, aber nicht verbissen, zu widerstehen. "Rose Ausländer schuf eine Art Erlösungsformel - dunkle Gedichte, aufgehoben von einer noch im Tragischen fast schwerelosen Heiterkeit. Anders gesagt: erleuchtet von einem Strahl irdischer Gnade", sagt dazu Ulrich Weinzierl in der FAZ.

Rose Ausländer gehörte 1945 zu den 6.000 überlebenden Juden aus Czernowitz, die zuvor 60.000 gewesen waren. Sie emigrierte 1946 ein weiteres Mal in die USA, wo sie als Sekretärin und Übersetzerin von Gedichten der Else Lasker-Schüler und von Prosa des Adam Mickiewicz ins Englische arbeitete. Neue Gedichte, die aber kaum nach Europa drangen, schrieb sie in englischer Sprache. 1963 kehrte sie nach Europa zurück, zunächst nach Wien, wo ihr zweiter Gedichtband herauskam. 1965 übersiedelte sie schließlich nach Düsseldorf in das Nelly-Sachs-Heim, wo sie bis zum Tod am 3. Jänner 1988 blieb.


Biographische Notiz

Ich rede
von der brennenden Nacht
die gelöscht hat
der Pruth

von Trauerweiden
Blutbuchen
verstummtem Nachtigallsang

vom gelben Stern
auf dem wir stündlich starben
in der Galgenzeit

nicht über Rosen
red ich

Fliegend
auf einer Luftschaukel
Europa Amerika Europa

ich wohne nicht
ich lebe


(aus: Im Aschenregen die Spur deines Namens. Gedichte und Prosa, 1976)

In den Kellern von Czernowitz lernte Rose Ausländer während der Verfolgungszeit den Dichter Paul Antschel, der sich später Paul Celan nannte, kennen. Daraus entstand eine Beziehung, die von gegenseitiger Wertschätzung und Offenheit getragen war. Jahre später suchte Rose Ausländer auf einer Europareise Paul Celan in Paris auf. Dabei erhielt sie Einblick in sein Schaffen, das die Sprache bis an die Grenze der Reduktion auslotete, bis an die Grenze des Verstummens. Das verstörte sie ebenso wie der Einblick in die übrige deutschsprachige Literatur der Nachkriegszeit, zu der sie den Kontakt verloren hatte. Diese Krise führte sie aber selbst zu einer neuen Sprache. Konzentrierter erschienen die Bilder in den Metaphern, dichter wurden die Wortfolgen und melodiöser.

Grenzen überschreiten

Das poetische Konzept der Dichterin zeigt sich im Gedicht Bekenntnis wohl am eindrücklichsten. Von dem Glauben an die aufschließende Kraft der Sprache getragen hält das lyrische Ich, in dem sich die Autorin gegenwärtig weiß, trotz aller Widersprüchlichkeit und Trostlosigkeit des Universums und des Lebens am Glauben an eine schönere Welt fest. Die Selbstbehauptung des Ich, auch die Selbstbehauptung der Poesie, scheinen nur dann verwirklichbar, wenn der Mensch bereit ist, sich auf die Spannung zwischen Mythos und Geschichte, zwischen Himmel und Erde, zwischen sichtbarer und unsichtbarer Welt einzulassen und so die gewohnten Grenzen der Wirklichkeit zu überschreiten.


Bekenntnis

Ich bekenne mich

zur Erde und ihren
gefährlichen Geheimnissen

zu Regen Schnee
Baum und Berg

zur mütterlichen mörderischen Sonne
zum Wasser und seiner Flucht

zu Milch und Brot

zur Poesie
die das Märchen vom Menschen spinnt

zum Menschen

bekenn ich mich
mit allen Worten
die mich erschaffen


(aus: Wir wohnen in Babylon. Gedichte)

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