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Else Lasker-Schüler

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MEIN HERZ GEHT LANGSAM UNTER Von Else Lasker-Schüler. Verse : und Prosa aus dem Nachlaß. Kösel-Verlag, München 1961. 178 Seiten.

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MEIN HERZ GEHT LANGSAM UNTER Von Else Lasker-Schüler. Verse : und Prosa aus dem Nachlaß. Kösel-Verlag, München 1961. 178 Seiten.

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Else LasJer Scbülei,ua4iSi:i Äia K Silsj einst „die stärkste unwegsamste lyrische Erscheinung des modernen Deutschlands“ nannte, die Freundin Gottfried Benns, Franz Marcs und vieler anderer repräsentativer Geister ihrer Zeit, sie, die in ihrem Sein und Schaffen eine Synthese zwischen Orient und Okzident darzustellen versuchte („Ich bin in Theben geboren, wenn ich auch in Elberfeld zur Welt kam, im Rheinland“), war im Grunde immer eine Einsame, ein Mensch, der an der Welt und sich selbst litt. Denn sie schuf in ihren urtümlichen Bildern und Gleichnissen sich ihre eigene innere Wirklichkeit, die sich mit der Realität, in die sie I gestellt war, nicht in Einklang bringen ließ. Und sie stellte auch so absolute Ansprüche an die ihr verbundenen Menschen, daß sie von ihnen enttäuscht werden mußte. „Mein Herz geht langsam unter, ich weiß nicht wo. . ." das schrieb sie schon in ihrer großen Zeit, als sie, der 1 „traurige Prinz von Theben“, als „Joseph ! von Ägypten“ und als „Tino von Bagdad die Gemüter verzauberte. Diese bittere Er- 1 fahrung vertiefte sich mit den Jahren, wie die Gedichte, Prosastücke und Fragmente ‘ aus dem Nachlaß, die Werner Kraft hie: vorlegt, schmerzlich erweisen.

1 Else Lasker-Schüler, die aus Deutschland „verscheuchte“ Jüdin (eines ihre: 1 letzen schönen Gedichte trägt den Tite „Die Verscheuchte“), kam nach einen längeren Aufenthalt in Zürich schließlicl e als Emigrantin nach Jerusalem. Aber sii 1 fand ein anderes Jerusalem, als das ii !’ ihren „Hebräischen Balladen“ so hym nisch gefeierte. Die Wirklichkeit des ar ? men, in vielfache Kämpfe verstrickte! Landes hielt wieder einmal dem in ihre Einbildungskraft beschworenen Bild nich 6 stand. So wird sie müde und gibt siel der Trauer hin:

Ich bin so traurig übers Maß t Die ich einst auf den Zweigen saß Des frohen Liedes voll „Man muß so müde sein wie ich es bii n Es schwindet kühl entzaubert Welt au meinem Sinn

Und es zerrinnen meine Wünsche tie b im Herzen . . .“

Solche Gedanken tauchen in immer wieder neuen Variationen in diesen letzte: :e Gedichten auf. Sie spiegeln Abschied vo: der Welt und den Menschen, dunkl :r Klage und Verwirrung. Auch Gott un d seine Engel sind nicht mehr selbstverständ r- lieh nah, mit denen Else Lasker-Schüle 5- doch einst so vertrauten Umgang pflegt :r „Gott hat sich in der allgemeinen Vet :r dunkelung mitverdunkelt!“, sagte sie ein ie mal. Und Werner Kraft berichtet in seiner in Nachwort, daß sie der Zweifel an Gott ge :n quält habe, kurz vor ihrem Tode sei si x- zum Rabbiner gekommen und habe ihn ge

.P“ wur ja unter „upę, glauben Sie an Gott?“

Else Lasker-Schüler hat schönere und bedeutendere Dinge geschrieben als die in diesem schmalen Nachlaßband veröffentlichten. Aber, als menschliches Zeugnis ist er erschütternd und aufrüttelnd, Abgesang eines Lebens, das trotz aller Enttäuschung unendlich reich war, in dem schließlich alle Gegensätze und Spannungen in einer rational nicht faßbaren Einheit aufgingen. Diese Frau hat ihren letzten in Jerusalem geschriebenen Gedichtband „Mein blaues Klavier“ ihren „unvergeßlichen Freunden und Freundinnen in den Städten Deutschlands“ gewidmet, „und denen, die wie ich vertrieben und nun zerstreut in der Welt“ sind. Und bei ihrem Begräbnis auf dem Ölberg geschah das in Israel ‘‘on 1945 Unglaubliche, daß der Rabbiner Kurt Wilhelm ein deutsches Gedicht sprach, ihr eigenes „Ich weiß, daß ich bald sterben muß . . .“

So hat sie noch als Tote Brücken geschlagen und den Haß überwunden, der ihr persönlich immer fremd war. Die schmerzliche Dankbarkeit ihrer Leser sollte ihr sicher sein.

EIN FRANZOSE IN NEW YORK. Von

Gus. Übersetzt von Pamela W e d e- k i n d. Langen-Müller-Verlag, München 1961. 208 Seiten.

Ebenso amüsante und originelle wie gescheite Beobachtungen eines Franzosen in New York. Das, was Albert Sabatier, der in dieser Stadt „amerikanische Geschäftsmethoden“ studieren will, registriert, ist in hunderten mehr oder weniger trockenen und nüchternen Abhandlungen sicher schon viel erschöpfender untersucht worden. Aber diese kleinen Plaudereien und Tagebuchaufzeichnungen, die oft kaum mehr als Randbemerkungen sind, treffen immer den Nagel auf den Kopf, ob da nun vom amerikanischen Konformismus, vom Fimmel der Amerikaner, immer und möglichst als erster das Allerneueste zu besitzen die Rede ist, oder von den menschlichen Beziehungen, von der typisch amerikanischen Geselligkeit und all den anderen Dingen, über die man sich bei einem längeren Aufenthalt in einem fremden Land Gedanken macht. Am köstlichsten sind die Kommentare Sosthėne Sabatiers — von seinen amerikanischen Freunden einfach Sam genannt —, der schon 30 Jahre in New York lebt und seinen Neffen Albert in die für ihn neue Welt einführt. Sams Unangefochtenheit gegenüber dem Trend der Zeit und Umwelt ist einfach hinreißend. Er fährt, inmitten der eleganten Straßenkreuzer, seinen alten „Mathis“, Jahrgang 1931; er veranstaltet mitten im Verkehrstrubel der

Stadt, sage und schreibe, ein Radrennen, um den Radsport in Amerika wieder populär zu machen; und er verwendet für seine Knoblauchmayonnaise nur aus Marseille eingeführte Zutaten, weil er einen Horror vor den sterilisierten amerikanischen Lebensmitteln hat. Kurz und gut, er ist ein Querkopf und Eigenbrötler, vor allem aber der Gegenspieler des amerikanischen Zivilisations- und Massenmenschen, der kein eigenes Gesicht mehr hat.

Alles in allem -r ein höchst vergnügliches Buch, das in humoristischer Verpackung sehr ernste Probleme zu bedenken gibt. Denn jene amerikanische Zivilisation ist ja auf dem Weg, weite Teile Europas zu erobern und unsere abendländische Welt genau so zu vereinheitlichen, wie es in den USA bereits geschehen ist. Gebe der Himmel, daß

Stadt, sage und schreibe, ein Radrennen, um den Radsport in Amerika wieder populär zu machen; und er verwendet für seine Knoblauchmayonnaise nur aus Marseille eingeführte Zutaten, weil er einen Horror vor den sterilisierten amerikanischen Lebensmitteln hat. Kurz und gut, er ist ein Querkopf und Eigenbrötler, vor allem aber der Gegenspieler des amerikanischen Zivilisations- und Massenmenschen, der kein eigenes Gesicht mehr hat.

Alles in allem — ein höchst vergnügliches Buch, das in humoristischer Verpackung sehr ernste Probleme zu bedenken gibt. Denn jene amerikanische Zivilisation ist ja auf dem Weg, weite Teile Europas zu erobern und unsere abendländische Welt genau so zu vereinheitlichen, wie es in den USA bereits geschehen ist. Gebe der Himmel, daß

Sams amerikanischer Freund Harrison recht hat mit seiner Hoffnung, daß Amerika schließlich die Zivilisation innerlich bewältigen werde:

„Die scheinbare Nüchternheit, die Unsicherheit, die unter den Erbauern dieser Konstruktion herrscht, bedeutet keinesfalls, daß es bei den abstrakten Linien bleiben wird. Unsere Menschen leiden und werden auch weiterhin lei- den, wie die Erbauer Athens gelitten haben. Sie werden unserer Zivilisation die Menschlichkeit bringen"

Sicherer jedoch ist, so sehr ein eigenwilliger und ausgeprägter Mensch zu bleiben, daß man gegen den Sog der Zivilisation gefeit ist, wie es in diesem Buch der gute Onkel Sam so herzerfrischend zuwege bringt.

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