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Konrad Paul Liessmanns "kulturphilosophische Diagnosen".

Das Niemandsland, jenes merkwürdige Gebilde zwischen den Grenzhäuschen, hat mich als Kind immer fasziniert. Doch dieses geheimnisvolle Zwischenland, das klare, nationale Identitäten getrennt hat, gibt es nicht mehr, es hat nur mehr die Bedeutung einer Metapher, mit der Konrad Paul Liessmann die Situation der Kultur beschreibt. Sie ist ein Passepartoutbegriff geworden, rahmt inflationär alles ein und wird damit leer, zum Niemandsland eben, das der Autor mit Spähtrupps durchstreift und das Protokolle in Gestalt von 14 Essays und Reden versammelt. Apropos Sammeln: dieser Ausdruck wäre eigentlich angemessener als der aus der Jagd- und Kriegsrhetorik (Jagd und Jagen als Daseinsmetaphern) entnommene Begriff, wenngleich der Autor damit eher die Neugier des Ausspähens im Feld der Kultur verbindet. Der Sammler nimmt seine Stücke aus dem Kontext und fügt sie in einer Sammlung nach anderen Kriterien wieder zusammen. Freilich, solche Kriterien lassen sich in Liessmanns Sammlung kaum ausmachen. Streng genommen ist dieses kulturphilosophische Flanieren deshalb auch keine Diagnose, sondern es sind allenfalls gesammelte Anamnesen. Jeder Leser kann seine Schlüsse daraus ziehen und selbst Kulturdiagnostiker spielen, was gar nicht so einfach ist, zu unterschiedlich sind die Sammelstücke, die der Autor vorlegt.

Sie sind problemorientiert (Über Avantgarde und Demokratie, Auf fremden Pfaden), bisweilen brav und gelehrt (Über den Sturm und Drang), manchmal erscheinen sie wie hastig hingeschrieben (Über die Harmonie), anderes hingegen gut recherchiert und mit dem heimischen Zettelkasten angereichert (Über das Spiel), ja es gibt polemische und erfrischende Stücke (Über die Inflation der Ethiken) und Originelles wie den Vergleich zwischen Elias Canettis "Masse und Macht" und Karl May (Auf fremden Pfaden). Wo es um den Jugendwahn und die vaterlose Gesellschaft geht, was auch den Verlust einer guten Portion familiärer Menschlichkeit an der Universität einschließt, ist ein konservativer Seufzer des Mittfünfzigers nicht zu überhören.

Manchmal bedauert man, dass nicht tiefer sondiert worden ist. Das Sammeln etwa ist ja nicht nur gutbürgerliche Tugend, sondern als sich Sammler und Jäger um das Feuer versammelten, sesshaft wurden, Tempel und Stadt gründeten, dann vielleicht davon den statischen Seinsbegriff ableiteten, wurde das Sammeln gar zu einem Sprungbrett für eine ganze Kulturphilosophie oder eine Genealogie der Metaphysik. Oder verleitete nicht Heideggers Wortspiel von legein/logos, Sammeln/Versammeltes, zu einer veritablen Vernunftkritik? Aber wir durchstreifen ja protokollierend ein imaginäres Niemandsland und es geht nicht um eine ausgefeilte Kulturphilosophie. Andererseits: Weil es dieses Niemandsland offensichtlich nicht mehr gibt, legt sich zu guter Letzt der Verdacht nahe, dass der Autor seine Sammlung doch als Diagnose, ja womöglich gar als Anfang einer Therapie versteht: Indem er schlaglichtartig die disparate Vielfalt der heutigen Kultur beleuchtet, kann er daran einen Bildungsbegriff knüpfen, der nicht bloß wirtschaftlichen Standortvorteil meint, sondern - wie es im "Beipackzettel" heißt - in jedem einzelnen die Fähigkeit erzeugt, "sich in ganz unterschiedlichen Sphären der Welt zu bewegen und trotzdem als unverwechselbare Person erkennbar zu bleiben".

Spähtrupp im Niemandsland

Kulturphilosophische Diagnosen

Von Konrad Paul Liessmann

Zsolnay Verlag, Wien 2004

255 Seiten, geb., e 22,10

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