Alltag im Zeichen vollständiger Ästhetisierung

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Die Ökonomisierung der Dinge und Vorgänge führt zu vollständiger Ästhetisierung des Alltags. Konrad Paul Liessmann empfiehlt, sich entgegen der Vereinfachung der Komplexität zu stellen.

Die Welt ist ökonomisiert und dementsprechend muss alles, was der Fall ist, zu einem Produkt gemacht werden, das seinen Preis hat. Die neue versachlichte, ökonomisierte und anpreisende Welt ist nicht rational und schon gar nicht politisch. Sie ist durch und durch ästhetisiert. Das Preis-Leistungs-Verhältnis der Dinge bezieht sich noch weniger als früher auf den Gebrauchswert, vielmehr auf die Ästhetik.

Es ist also logisch, dass Liessmanns Erkundungen im Universum der Dinge zur Ästhetik des Alltäglichen führen. Die Aufmerksamkeit der Handelnden konzentriert sich nicht auf "Werte“ und "Inhalte“, sondern auf Design und Glanz der Oberfläche. Nicht die politische Aussage, sondern das Foto des Politikers, der sie tätigt, ist wichtig. Liessmanns kritischer Essay agiert im Zentrum dessen, was gegenwärtig geschieht.

Konrad Paul Liessmann erforscht - wie stets den Mangel der Moderne an Klarheit und Wahrheit bedauernd - den Umgang der Menschen mit ihren geliebten, glänzenden, irisierenden, oszillierenden, durchwegs ästhetisierten Gebrauchsgegenständen. Die allgemein waltende Ökonomie der Aufmerksamkeit hat die Grenzen zwischen Gebrauchs- und Repräsentationsfunktionen der Dinge völlig verwischt. Farbakkord und Design der Verpackung zählen.

Das Zeitalter der Reproduzierbarkeit

Liessmanns Buch bietet eine Tour d’horizon zur Erkundung des Menschen im Zeitalter seiner molekularbiologischen Reproduzierbarkeit, der Erotik im Zeitalter der Pornografie, der Kultur im Zeitalter allgegenwärtiger Festivals. Das Hauptexpertisefeld Liessmanns, Philosophie der Kunst und Ästhetik, ist Ausgangs- und Angelpunkt seiner Überlegungen über die "Metaphysik der Gebrauchsgegenstände“, die "Gesetze der Alltagsästhetik“, die "Logik der Rührung“, die Kommentarbedürftigkeit aktueller Kunst, "die Blutsverwandtschaft zwischen Erotik und Kunst“, die Eventorientierung im Umgang mit aktueller Kunst, die Diktatur des Körperkults und natürlich über das Geld, bei dem uneingeschränkt der Satz gilt: "Genug ist nie genug“. Liessmann, dem Reden und Schreiben libidinös dicht besetzte Handlungen sind, hat als begeisterter Radfahrer offensichtlich zur Steigerung seiner Lust beim Schreiben des Buches noch eine Hommage an das Rennrad und Reflexionen über das Fußballspiel hinzugefügt.

Die Aufklärung tradierter Normen und Rituale seit den Sechzigerjahren des 20. Jahrhunderts, die ein Handlungs- und Wahrnehmungskorsett bildeten, hat den Alltag disponierbar und erklärungsbedürftig gemacht. Wo es vorher klar war, was in einer Situation zu tun ist, herrschen jetzt Unsicherheit und Beratungsbedarf. Mach dich schlau, lautet die Devise unzählbarer Ratgeber.

Diese Literatur, die als Literatur der Befreiung daherkommt, entpuppt sich rasch als ihr Gegenteil. Anstatt zu öffnen, wirkt sie als Normierungs- und Disziplinierungsinstanz, als Begleitliteratur zur Legitimation und Affirmation von mehr desselben Schwachsinns, der die Ökonomisierung der Welt begleitet, und der letztlich dazu dient, aus mündigen Bürgerinnen und Bürgern Module einer sozialingenieurmäßig eingestellten Maschine zu machen.

Liessmanns Buch über den Alltag und die Ästhetik des Alltäglichen ist der Ratgeber - so möchte man vorschnell sagen - gegen diese Alltags-Ratgeber. Nichts allerdings liegt Konrad Paul Liessmann ferner, als die Zielsetzung jemanden zu beraten. Er steht vielmehr auf der Seite der Aufklärung, die wenig mehr anzubieten hat, als die Fähigkeit, Sachverhalte in ihrer Komplexität und Widersprüchlichkeit darzustellen.

Sich der Komplexität stellen

Liessmanns Essay-Band ist in Zielsetzung und Aussage der kontradiktorische Gegensatz zu "simplify your life“, einem Bestseller der Ratgeber-Literatur. Seine Quintessenz lautet daher: Stell dich der Komplexität des Lebens; setze dich mit ihr so kritisch und so anspruchsvoll wie möglich auseinander.

Im Gegensatz zu den aktuellen Naturwissenschaften und ihren Anwendungen in oft für die Menschen nützlichen Technologien sind die Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften und wohl im besonderen Maß die Philosophie "frei von Nutzen“. Diese Zweckfreiheit ist "ein Hauch von Luxus“, den Liessmann am Anfang und im letzten Kapitel seines Buches anspricht. Trotzdem ist dieser Luxus für Demokratie und Kultur von nicht leicht zu überschätzender Wichtigkeit. Wie im gegenständlichen Buch und in leider nicht dicht gesäten kritischen Auseinandersetzungen ist aufzuzeigen, was hinter den medialen Darstellungen der Wirklichkeit, hinter der Affirmations- und Legitimationsrhetorik tatsächlich in der Gesellschaft geschieht. Das Buch stellt viele Fragen neu und leistet so einen wichtigen Beitrag der Philosophie, um die Welt in Interpretation und Gestaltung offen zu halten.

Der Autor ist Universitätsprofessor (Univ. Wien, Univ. für angewandte Kunst) und Wissenschaftsreferent der Stadt Wien

Das Universum der Dinge

Zur Ästhetik des Alltäglichen. Von P. Konrad Liessmann. Zsolnay 2010.192 S., geb., e 18,40

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