Eros ist politisch unkorrekt

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Der Wiener Philosoph Konrad Paul Liessmann, dieser Tage Referent bei der Tagung des Katholischen Akademikerverbandes in Tainach, über unsere Doppelmoral in Sachen Sexualität und den Zusammenhang von Eros und Gewalt - auch vor dem Hintergrund der jüngsten Schutzalter-Debatte.

Die Furche: Wieso ist Eros für Sie als Philosoph interessant?

Konrad Paul Liessmann: Ich könnte es mir leicht machen und sagen, als Philosoph ist man gleichsam verpflichtet, den Eros aus wissenschaftshistorischen Gründen interessant zu finden, denn immerhin begann ja die europäische Philosophie mit einer Reflexion über den Eros. Man darf nicht vergessen, dass einer der wichtigsten Texte von Platon, der der Ahnherr der abendländischen Philosophie genannt werden darf, sich ausdrücklich und ausschließlich dem Eros widmet, nämlich das "Gastmahl". Platon hat uns ein Erkenntnismodell mitgegeben, bei dem am Anfang das sinnliche Begehren des Schönen steht und am Ende die Liebe zur Wahrheit, die Liebe zur Idee. Das heißt, was den Philosophen umtreibt, ist ein doppelter Eros. Auf der einen Seite der Eros durchaus im Sinne des sinnlichen Begehrens und auf der anderen Seite, wie der Name ja schon sagt, der Philosoph als Liebhaber der Wahrheit, der Weisheit, der natürlich dieses sublime erotische Verhältnis zum Erkennen selbst hat.

Die Furche: Viel ist von Eros und Gewalt die Rede. Ist Gewalt der Gegenpol zum Eros, der ihn bedroht?

Liessmann: Schon bei Platon taucht der Gedanke auf, dass Eros eine sehr ambivalente Figur ist, denn das Begehren ist ja selbst keine moralisch eindeutig zu qualifizierende Kraft. Das Begehren setzt immer voraus, dass man etwas nicht hat, dass man sich in den Besitz einer Sache setzen will. Bei Platon wird Eros schon beschrieben als ein Gott, der aus dem Grund auch wenn nicht gewalttätig, so immerhin listenreich und trickreich ist. Denn oft widersetzt sich einem ja gerade dasjenige, das man besitzen will, nämlich der andere Mensch, der schöne Mensch, der schöne Körper. Er will nicht, also muss er überredet werden, er muss ausgetrickst werden, er muss umgarnt werden, er muss umsponnen werden. Und das Begehren selber kann dann so blindwütig und so aussließlich, Kierkegaard würde sagen, nahezu dämonisch, werden, dass es rücksichtslos versucht, sich dasjenige, was ihm zu fehlen scheint, anzueignen.

Die Furche: Halten Sie die den Eros betreffenden Umgangsformen, die wir in unserer Gesellschaft haben, für gut oder für dringend veränderungsbedürftig?

Liessmann: Das ist eine Frage, die man so gar nicht beantworten kann, weil sie voraussetzt, es gebe die ideale Normierung des Eros. Es gibt weder eine Natur der menschlichen Sexualität, zu der man zurück sollte, noch gibt es die ideale Gestaltung von Sexualität, noch gibt es Formen von Sexualität, die verbindlicher sein müssten, als andere. Gesellschaften setzen einfach unterschiedliche Prioritäten. Gerade in der Antike war Sex mit Minderjährigen, Halbwüchsigen eine tolerierte, ja sogar von den Dichtern und Denkenden gepriesene Form. Die Form der Liebe schlechthin war die homosexuelle Liebe zwischen einem erwachsenen Mann und einem Pubertierenden. Das erscheint jetzt für uns als Inbegriff des Bösen, da werden Schutzalter eingezogen etc. Andere Gesellschaften haben mit Formen der Promiskuität, der Polygamie experimentiert. Wir haben nach wie vor das Ideal der Zweierbeziehung. Wir tolerieren unter Erwachsenen fast jede Form von Sexualität - Homosexualität, Heterosexualität, Sadismus, Masochismus -, wenn nur Freiwilligkeit herrscht. Nur eine Form, die in anderen Kulturen gang und gäbe war, tolerieren wir nicht: die Bigamie oder Polygamie. Auch wenn erwachsene Menschen freiwillig beschließen würden, zu zweit oder dritt oder viert eine sexuelle Gemeinschaft einzugehen, würde das bei uns nicht toleriert werden. Erwachsene, rational denkende Menschen können sich ja arrangieren wie sie wollen, denkt man - nein, können sie nicht.

Die Furche: Woran liegt das?

Liessmann: Man muss hier sehr vorsichtig sein. Wir haben eine Phase der sexuellen Liberalisierung hinter uns. Wir haben Formen des Zusammenlebens neu gestaltet, das ist wesentlich offener, und das begrüße ich auch sehr. Auf der anderen Seite ist unsere Gesellschaft in gewisser Weise auch von einer Form der Doppelmoral und der Bigotterie gekennzeichnet. Während auf der einen Seite pathetische Feldzüge gegen Pornographie und Kinderpornographie geführt werden, werden auf der anderen Seite diejenigen, die man zu schützen vorgibt, schamlos als sexualisierte Werbeträger benützt.

Die Furche: Bei jeder gesetzlichen Debatte über Schutzalter usw. steht ja dahinter die Frage: Was ist ideal, wo will ich hin, in welche Richtung will ich verändern? Gibt es da Kriterien dafür?

Liessmann: Es gibt natürlich schon Kriterien dafür. Das entscheidende Kriterium ist die Integrität und die Autonomie des Subjekts. Der springende Punkt ist: Wann ist ein Mensch so weit, dass er die Integrität nicht nur zuerkannt bekommen kann, sondern auch für sich selbst beanspruchen kann. Einerseits werden junge Menschen früher geschlechtsreif als in den vergangenen Epochen, auf der anderen Seite ist natürlich außer Streit, dass heranwachsende Kinder, Halbwüchsige, die eben noch nicht diesen Status der vollen Autonomie und der Selbstbestimmung zuerkannt bekommen können, bestimmten, besonderen Schutzbestimmungen unterliegen.

Die Furche: Was heißt das konkret?

Liessmann: Ich denke, das muss eine Gesellschaft mit sich aushandeln. Unglaubwürdig wird es dann, wenn hier unzulässig differenziert wird, deswegen finde ich es auch richtig, dass jetzt das Schutzalter von Jugendlichen ungeachtet des Geschlechts vereinheilicht wird. Auf der anderen Seite sind natürlich Bestimmungen wie die vom Ausnützen mangelnder Reife Gummibestimmungen. Wenn man es darauf anlegen will, wird man immer sagen können, dass ein Mensch in gewisser Weise unreif ist, wenn es um erotische Beziehungen geht. Auch zwischen Erwachsenen wird es immer Asymmetrien geben, gerade die Asymmetrie ist selber eine Quelle der Lust. Wenn man alle Formen von Asymmetrien, von Abhängigkeiten, von Selbstunterwerfung, von Selbstaufgabe - Dinge die man früher unter dem Begriff Leidenschaft zusammengefasst hat - jetzt als einen Strafbestand formulierte, dann würde man wahrscheinlich der Sexualität und dem Eros eine ganz entscheidende Komponente wegnehmen.

Ich glaube, man muss sich auch mit dieser unangenehmen Einsicht irgendwann einmal anfreunden: dass es auch keine Lust und keine Erotik und keine Sexualität ohne diese Formen von Leid, von Demütigungen, von Selbstdemütigungen, von Aufgabe und dergleichen mehr gibt. Die Utopie der selbstbestimmten, angst- und schmerzfreien, leidlosen Sexulität, die gleicht dem Schema eines Vertrages. Kant hat schon diese Utopie gehabt: Die Ehe sei ein Vertrag zum wechselseitigen Gebrauch der Geschlechtswerkzeuge, schreibt er in der "Metapyhsik der Sitten". Das ist natürlich nüchtern gedacht und vielleicht sogar pragmatisch, erotisch ist es leider nicht. Eine ideale Lösung gibt es dafür nicht, weil meines Erachtens Eros selber als sowohl hervorbringende als auch zerstörende Kraft in sich widersprüchlich und ambivalent strukturiert ist. Generell denke ich, dass - von der Schutzwürdigkeit von Heranwachsenden und Abhängigen abgesehen - eine moderne Gesellschaft in der Sexualität nicht liberal genug sein kann. Mir sind manche Regelungen sogar schon zu definitiv, denn ich glaube, dass eine große Errungenschaft unserer Gesellschaft die Trennung von öffentlich und privat ist, und da gehört das Intime, das Sexuelle dazu.

Das Gespräch führte Cornelius Hell.

Philosoph, Essayist, Kulturkritiker

Der 1953 in Kärnten geborene Konrad Paul Liessmann ist Professor für Philosophie an der Universität Wien. Von seinem Bestreben, philosophische Fragestellungen einer breiteren qualifizierten Öffentlichkeit anschaulich zu vermitteln legen u. a. seine ORF-CDs "Denken und Leben" I bis III beredtes Zeugnis ab. Darüberhinaus hat sich Liessmann vor allem durch seine prononcierte Einmischung in aktuelle Kontroversen einen Namen gemacht - von den Fragen der Vergangenheitsbewältigung über die Auseinandersetzung mit moderner Kunst, die bioethische Debatte bis hin etwa zum Streit um den freien Sonntag. Im großen "Österreich-Gespräch" zur Bildung der schwarz-blauen Regierung ließ er als einer der wenigen durch nuancierte Zwischentöne aufhorchen und sparte nicht mit Kritik am sich überlegen dünkenden Moralismus des "Widerstands" - was ihm prompt den Ruf des "Hofphilosophen" eintrug. Seinen Anspruch, Philosophie über Hörsaal und Fachkreise hinaus als Auseinandersetzung mit den großen Zeitfragen zu treiben, versucht er seit 1997 beim von ihm gemeinsam mit Michael Köhlmeier gegründeten Philosophicum Lech umzusetzen: Nach dem "Bösen", der modernen Kunst, "Alt und Neu", "Krieg" und "Eros" geht es heuer, im sechsten Jahr, unter dem Titel "Die Kanäle der Macht" um "Herrschaft und Freiheit im Medienzeitalter" (12. bis 15. September, Lech/Arlberg; Anmeldung: +43-5583-2161-228). RM

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