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"Ohne Philosophie gibt es kein Glück auf dieser Erde. Alles andere ergibt sich daraus.“ So Konrad Paul Liessmann im Anschluss an Aristoteles beim letztjährigen Philosophicum Lech zum Thema "Die Jagd nach dem Glück“. Zur Bekräftigung dieser These ein Plädoyer für die antike Philosophie: Die Philosophie der Antike als Denkschule - ein spannendes Projekt.

Projekte, Projektteams, Projektmanagement sind vielerorts verwendete Termini, die mittlerweile auch in Schulen Eingang gefunden haben und in nahezu jedem Berufszweig unserer modernen Gesellschaft zu finden sind - Begriffe, mit denen die daran Beteiligten vor allem eines signalisieren wollen: ihr Bemühen um bestmögliche Synergieeffekte von Planungs-, Steuerungs- und Kontrollmaßnahmen ihrer Studien, Forschungen und Unternehmungen hinsichtlich eines zeitlich befristeten Vorhabens.

Ohne Zweifel hat die fristgerechte und Kosten sparende Erledigung einer Arbeit, ja überhaupt das Erlernen eines effektiven Zeitmanagements einen zentralen und zumindest in der westlichen Welt nicht mehr weg zu denkenden Stellenwert in unserem (oft sogar bis in die Freizeit hinein) dicht organisierten Gemeinschaftsleben. Doch bringt ein auf ständige Erfolgsmaximierung ausgerichtetes Leben tatsächlich die gewünschte Erfüllung oder suchen wir letztlich nicht alle nach etwas anderem? Drängen sich uns nicht immer wieder Fragen auf, die über das Berufs- und Alltagsleben hinausgehen? Benötigen wir nicht ebenso moralische Kriterien für ein gedeihliches Miteinander in jeglichem sozialen Gefüge und suchen wir schließlich nicht alle nach Glück oder fragen nach dem Sinn angesichts schrecklicher Erfahrungen von Leid und Tod?

Jenseits von Evaluierungen

Es erscheint gewagt, als Hilfestellung zu diesen Überlegungen ein "Projekt“ zu empfehlen, das von ganz anderem Charakter ist: Es präsentiert sich als ein entschleunigtes und grundsätzlich nicht programmierbares, als eines, das gleichsam dem Diktat der Zeit enthoben ist und sich überdies jeglicher Messungen, Evaluierungen und Ökonomisierungen fern weiß. Doch gerade deshalb, weil es hier nicht um unmittelbar verwertbaren Nutzen geht, um kundenorientierte praktische Anleitungen und optimierte Lösungen von Problemen und Konflikten, bietet das "Projekt Antike“ unzählige Projektionsflächen und Denkmodelle, aus denen sich die vielfältigsten Bezüge zu unserer heutigen Lebenspraxis ableiten lassen. Daraus lässt sich ein Orientierungsrahmen für jeden Einzelnen gewinnen in einer zusehends unübersichtlich gewordenen und von vielerlei Problemen überfrachteten Welt.

Das "Projekt“ ist der Rückbesinnung auf die antike Philosophie gewidmet, der Epoche, in der sich aus dem Mythos der Logos entwickelte, in der das Fragen und Nachdenken erstmals Schule machte, und in der die Geburtsstunde der heutigen Wissenschaften zu finden ist. In der griechischen Antike wurden die wesentlichen Problemstellungen, Methoden und Begrifflichkeiten entwickelt, die das abendländische Denken bis heute prägen. Um sich nun auf dieses Projekt einzulassen, ist zunächst eine gewisse Distanzierung von der hektischen Betriebsamkeit des Alltags vonnöten: Wir brauchen scholé - aus diesem griechischen Wort, das "Muße, Freizeit“ bedeutet, leitet sich unser Wort "Schule“ ab! - nur so können wir in die Gedankenwelt antiker Philosophen eindringen und intensiv nach-denken, wodurch wir zugleich unseren eigenen Standort bestimmen.

Suche nach Orientierung

"Erkenne dich selbst“, der wohl berühmteste der Sprüche der "Sieben Weisen“ - von Chilon von Sparta im 6. Jh. v. Chr. in die Wand des Apollontempels in Delphi gemeißelt - musste damals sicherlich als Mahnung an die Sterblichen verstanden werden, ihre eigenen Grenzen zu erkennen. Aber kann er nicht ebenso gut als Aufforderung gelesen werden, ein eigenes Selbst- und Werteverständnis zu ergründen und zugleich Orientierung in der uns umgebenden Welt zu finden?

Im Begriff philosophía sind die griechischen Wörter phílos und sophía vereint, der "Freund“ und "Liebhaber“, der Gefallen findet an "(wissenschaftlicher) Erkenntnis“ und - allgemeiner - an "Einsicht, Klugheit, Weisheit, Bildung“. Interessant und zugleich auch von aktueller Bedeutung ist dabei, dass man unter sophía zunächst eine spezifische Sachkenntnis verstand, die beispielsweise ein Handwerker benötigt, um bestimmte Kunstfertigkeiten ausüben zu können, modern ausgedrückt, eine entsprechende Fachkompetenz im Sinne eines anwendungsbezogenen Expertenwissens.

Eine Textstelle aus einem der berühmtesten Dialoge Platons, dem Symposion, mag nun gleichnishaft darüber Aufschluss geben, welche Wesenseigenschaften einem philósophos zukommen und woher sich der Impuls für einen Prozess der Selbstfindung und der Sinnsuche des Menschen ableiten lässt. Sokrates erinnert sich an ein Gespräch über Eros mit der weisen Priesterin Diotima, die hier ausnahmsweise die sonst ihm vorbehaltene Rolle des Fragenden und Belehrenden innehat. Diese erzählt, Eros sei der Sohn von Penía und Póros, von Armut und Reichtum, dem es selbst nun immer wieder (mehr oder weniger, je nachdem, ob sich die mütterlichen oder väterlichen Anlagen durchsetzen) an all dem mangelt, wonach er uns streben lässt; er ist gewissermaßen ein "dämonisches Zwischenwesen“ zwischen Mensch und Gott, ein wechselseitiger Vermittler und Ausleger, nicht selbst weise, denn diese Eigenschaft kommt nur den Göttern zu, doch auch nicht töricht und ungebildet, oder - wohl noch schlimmer - einer, der in seinem Dünkel befangen ist, zu glauben, weise zu sein, es aber in Wirklichkeit nicht ist.

Der Blick aufs Ganze

Der philósophos hingegen ist wie Eros ein Zwischenwesen, ein Suchender und Strebender, einer, der sich seiner Defizite und seiner Bedürftigkeit bewusst ist und daher bemüht ist, diese auszugleichen. Ist diese Botschaft nicht über alle Zeit hinweg gültig? Nur wenn wir den Eros in uns spüren, können wir uns einer Sache vollständig widmen, uns gänzlich auf etwas oder jemanden einlassen, nur wenn wir auf Eros’ Pfaden wandeln, finden wir - bisweilen auch unverhofft - das Schöne, Gute, die richtige Erkenntnis, wobei man aber grundsätzlich in Kauf nehmen muss, dass der Erkenntnisprozess meist ein langwieriger und mühseliger ist, einer, für den man sich Zeit nehmen muss und der einen mitunter auch so manche Strapazen und Entbehrungen kostet. Jedenfalls ist seit Diotimas Belehrung wahre Erkenntnis untrennbar mit dem Eros verbunden. Dieser prinzipiell defizitäre und stets bedürftige Eros ist es, der uns weiterbringt und den Blick aufs Ganze öffnet.

* Die Autorin ist Lektorin am Institut für Philosophie der Universität Wien und unterrichtet Latein, Griechisch und Psychologie/Philosophie am Gymnasium Wasagasse

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