Wie viel Herrschaft braucht der Mensch?

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14. Philosophicum Lech: #Der Staat. Wie viel Herrschaft braucht der Mensch?# wurde heuer am Arlberg gefragt. Aber vielleicht stellt sich die Frage in dieser Weise gar nicht.

# Wir dürfen gar nicht säumen, dem Staate liegt daran, den bösen Untertan schnell aus dem Weg zu räumen. #

L. v. Beethoven, Fidelio, 1. Akt

#Dem Staate liegt daran#: Das ist die Logik der Herrschenden zu allen Zeiten. Auch wenn es # zum Glück # nicht zwangsläufig darum geht, die Untertanen gleich #aus dem Weg zu räumen#. Aber die Berufung auf ein übergeordnetes Interesse # eine höhere Ordnung, ein leitendes Prinzip, ein vorgegebenes Ziel, das Gemeinwohl # diente immer schon dazu, Macht- und Herrschaftsansprüche durchzusetzen. Gegen den Einzelnen und sein Recht auf Selbstbestimmung, gegen die Freiheit, oft auch gegen die Menschlichkeit.

Das Pathos von Beethovens Freiheitsoper mag uns heute fremd sein. Zum letzten Mal schien es uns vielleicht vor zwanzig Jahren, beim Fall der Berliner Mauer, angemessen. #Gott, welch ein Augenblick!# titelte damals Otto Schulmeister seinen Seite-1-Kommentar in der Presse, Leonores Worte beim Lösen von Florestans Ketten zitierend. Seither ist, wie wir wissen, alles komplizierter geworden # auch die Freiheit. Genauer gesagt: Freiheit und Unfreiheit oder Unterdrückung sind nicht mehr so leicht zu benennen und zuzuordnen.

Herrschaft als Existenzial

Das heißt freilich nicht, dass die Freiheit heute weniger bedroht wäre. Es war nur leichter für sie zu kämpfen, als noch klar war, wer der Gegner war und wo er stand. Die Tendenzen zur Entstaatlichung, zur Enthierarchisierung und Egalisierung verstellen ja möglicherweise den Blick darauf, dass Herrschaft und Macht unvermindert ausgeübt werden. Auch Macht, die sich #light# gibt und im modernen Gewande, wenn man so will, auf Augenhöhe daherkommt, ist Macht.

#Herrschaft ist ein Existenzial; es kömmt drauf an, sie erträglich zu machen#: So formulierte es der Wiener Philosoph Rudolf Burger beim Philosophicum Lech, Karl Marx# berühmtes Diktum paraphrasierend, wonach die Philosophen die Welt nur verschieden interpretiert hätten, wogegen es gelte, sie zu verändern (Thesen über Feuerbach, 1888). So gesehen stellte sich die Frage, die das diesjährige Philosophicum Lech im Untertitel formuliert hatte, gar nicht: #Wie viel Herrschaft braucht der Mensch?# Denn Burger zufolge bräuchte es zunächst den nüchtern-realistischen Blick darauf, dass es Herrschaft notwendigerweise immer gibt; und dann, so darf man den Ansatz wohl weiter denken, das daraus resultierende Bestreben, Freiheitsräume aller Art stets aufs Neue zu erkämpfen und abzusichern.

Ganz konkret stand in Lech #der Staat# auf dem Prüfstand # jene Institution, von der #wir immer entweder zu viel oder zu wenig# haben, wie es Konrad Paul Liessmann, spiritus rector des Philosophicums in seinem Eröffnungsvortrag ausdrückte. Zu viel, weil er sich in unangemessener Weise in unser Privatleben einmischt, Eigenverantwortung unterbindet, Anspruchsdenken generiert und den Bürger entmündigt (siehe dazu etwa den Text auf Seite 23 von Ulrike Ackermann); zu wenig, weil sein Netz gar nicht so dicht geknüpft sein kann, dass nicht immer noch welche durchfielen, weil es im Bereich der Bildung, der Integration, der Infrastruktur immer Defizite geben wird, die zu beheben der Staat gefordert ist.

Das Thema war und ist also letztlich Freiheit versus Sicherheit. Verkürzt heißt es auch bisweilen Politik versus Ökonomie, wobei freilich unterstellt wird, dass die Ökonomie für die Freiheit, die Politik aber für die Sicherheit stehe. Letztere, die Politik, als Bevormundung schlechthin zu sehen, ihr jeglichen Anspruch auf Gestaltung abzusprechen und an die Stelle des Staates eine #Privatrechtsgesellschaft# zu setzen, ist die denkbar radikalste Variante, für die der Privat-Gelehrte Hans-Hermann Hoppe plädierte. Sein Anarcho-Liberalismus, der so weit #rechts# ist, dass er schon fast wieder #links# anmutet, will auch das Gewaltmonopol des Staates nicht gelten lassen und fordert, in sich stimmig, die Selbstbewaffnung des Einzelnen. Jeder gegen jeden.

Der freundliche Staat

Das entspricht freilich exakt jenem von Thomas Hobbes in seinem #Leviathan# (1651) beschrieben #Naturzustand#, in dem #der Mensch dem Menschen ein Wolf# ist. Eben um diesem Zustand zu entkommen, so postulierte Hobbes, schafft sich der Mensch eine übergeordnete Instanz, das Ungeheuer (Leviathan) Staat, dem er sich freiwillig unterordnet. Hobbes# #Leviathan# ist für ein Symposium zum Thema #Der Staat# naturgemäß so etwas wie die Benchmark: #Wie hältst Du#s mit dem Staat# hätte man ebenso als Gretchenfrage formulieren können.

Einen gnadenlos mittigen Weg in dieser Debatte im Spannungsfeld von Freiheit und Sicherheit schlug der Kasseler Soziologe Heinz Bude vor: Nach dem umfassenden Sozialstaat und der antietatistischen Konterrevolution durch Reagan und Thatcher sei die Stunde des #freundlichen Staats# gekommen. Als Formel dafür dient Bude das im Umkreis Obamas entstandene Konzept eines #liberalen Paternalismus#. Er sieht den Staat #als Anstoß gebenden Ratgeber für die freien Individuen#, als #empathischen Kümmerer und intelligenten Türöffner, der den Leuten freundlich vor Augen führt, dass es für sie selbst besser wäre, wenn sie nicht alleine dem Egoismus des Augenblicks folgen würden#.

Die letzten Menschen

Das klingt durchaus plausibel und überdies sympathisch. Die Frage ist freilich, ob ein solcher Staat, der all das bringt, von dem wir immer zu wenig haben und all das unterlässt, von dem wir immer zu viel haben (s. o.; Liessmann), nicht nur ein hübsches soziologisches Konstrukt ist. Zu dem #freundlich# wird wohl auch ein #bestimmt# hinzutreten müssen.

Auf Friedrich Nietzsches Bild vom #letzten Menschen# lenkte Rudolf Burger den Blick. Im #asketischen Hedonisten# unserer Tage sieht Burger Nietzsches Vision verwirklicht: das #politisch korrekt aller kultureller, ideeller und gender-Attribute entkleidete # nicht mehr #diskriminierbare# Individuum# als #Substrat fürsorglicher Biopolitik#, das nach einem #genau kalkulierten Ernährungsplan# lebt. ##Wir haben das Glück erfunden# # sagen die letzen Menschen und blinzeln#, heißt es bei Nietzsche. Haben die jetzt zu wenig oder zu viel Staat gehabt?

15. Philosophicum Lech 2011

#Die Jagd nach dem Glück. Perspektiven und Grenzen guten Lebens#.

21. bis 25. September 2011

www.philosophicum.com

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