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Der Mensch als Spiegel des Universums

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Keyserling begmnt das vorliegende Buch mit dem Saz Augustins (Confessiones III, LX), den er in französischer Übersetzung zitiert: „Toutes les actions de vos serviteurs sont l'expression des necessites du present ou la figure de l'avenir.“ — „Ich habe von jeher völlig unbefangen nur das eine Ziel verfolgt, dasjenige, was mich von innen her bestimmte und trieb, in der Welt zu verwirklichen, ohne jede Rücksicht auf Meinungen und sonstige Äußerlichkeiten, die eigenen inbegriffen. Was sich in meinem Leben empirisch als Lust am Abenteuer, als Herausfordern, als Planung, Selbstvergewaltigung, rücksichtsloses Mich-Durchsetzen, Mich-gehen-Lassen, Auf-mich-Nehmen und Bis-zur-Neige-Auskosten — äußerlich geurteilt — vermeidbaren oder verwandelbaren Geschicks oder Mißgeschicks darstellte, bedeutete wesentlich dies. Zum erstenmal dämmerte mir diese Wahrheit, als ich den eingangs angeführten Ausspruch Augustins las. Seither strebte ich, was immer ich im besonderen betriebt, nach Selbstverwirklichung. Solche aber ist möglich allein in Form und auf der Ebene des bewußt gelebten Mythos.“ (S. 14.)

Um nun zu zeigen, was unter Mythos in diesem Sinne gemeint aist, muß Keyserling weit über den ursprünglichen Plan dieses Buches, seine persönliche Entwicklung in Gegenüberstellung mit individuellen Zeitgenossen darzustellen, hinausgehen und seine Idee des spezifisch menschlichen „Zwischenreiches“ entwickeln, welches — entsprechend der „Urparadoxie des Menschenzustandes“ — als eine Welt der Künstlichkeit zwischen dem Reich des substantiellen Geistes und der der elementaren Natur die eigentliche Existenzebene des Menschen darstellt. (S. 325, aus dem „Buch vom Ursprung“ zitiert.) Diese Welt der Stadt, der Gesellschaft, der Konvention und der Zeremonie ist aber zugleich die Welt der Geschichte als der eigentlich „menschlichen“ Ebene — sie beginnt mit der Schrift, der bedeutendsten und mächtigsten „Konvention“ (= Übereinkunft). „Vor“ ihr aber, und sie denoch dauernd durchdringend, herrscht der Mythos; jenseits der Menschenwelt (ihr Symbol ist die nur-menschliche Stadt), ringt der Geist mit dem Dämon. Und dieses „Jenseits“ ist zugleich 'auch ein Innerstes und Persönlichstes. Im ersten und letzten Kapitel des ersten Bandes — „Vorfahren“ und „Mütter“) — spricht Keyserling von der Vater-und Mutter weit: hier wird der Mythos am mächtigsten, wo das Persönlichste zum Allgemeinsten wird. Die Seele ist der Spiegel des Alls, der Mensch als Ebenbild Gottes geschaffen. Im intimsten Erlebnis werden die Gesetze der Welt wahrgenommen. Darum sagt er auch, wo er sich mit der abstrakten Pbilosophie auseinandersetzt: „Es gibt schlechterdings keine unpersönliche Weltanschauung ... Gerade durch ihren persönlichen Charakter aber besitzt Philosophie objektiven Wert ... Die Philosophie, deren Wahrheit schlechterdings objektiv erschiene, wäre zugleich die allerpersönlichste.“ (S. 239, aus „Philosophie als Kunst“ zitiert.)

Rückkehr zum Ursprung, im Leben aus ihm Erfüllung des eigenen Wesens, Hinauswachsen über die Welt der Künstlichkeit, um den substantiellen Geist der Erscheinung einzubilden, ihn auch in der eigenen empirischen Wirklichkeit auszudrücken und so sein Leben — wachsend, doch nie vollendet —, als Kunstwerk zu stilisieren, das ist der Weg, den Keyserling zu gehen und auf dem er anderen zu helfen versucht. Es ist das Wesen des intuitiven Erkenntnisweges, daß hier nicht nach „richtig“ oder „falsch“ bewiesen oder widerlegt werden kann. Die Wahrheit des Sinnbildes liegt auf einer anderen Ebene, sie wird davon bestimmt, in wie hohem Grad, wie rein sich der Sinn in ihm verkörpert. Ja, es verliert auch nicht von seinem Wert, wenn es entsprechend dem subjektiven Verständnis des Aufnehmenden umgedeutet und also „mißverstanden“ wird. Wie Kunstwerke nicht nach ihrer „Richtigkeit“, sondern nach ihrer Qualität, nach ihrem Niveau gemessen werden, so auch der Intuitive Mensch und eine solche Philosophie.

In diesem Buch, von dem einstweilen nur der erste Band vorliegt, spart Keyserling zwischen einer Vielzahl von Personen, Erscheinungen und Beziehungen von Ländern, Kulturen, Epochen seine Persönlichkeit wie die negative Form einer Plastik aus. Selten wird uns die Gußform eines Lebens so klar kon-turiert dargestellt. Hier liegt das eigentliche „Kunstwerk“, mit dem sich auseinanderzusetzen für den Leser jedenfalls eine Bereicherung darstellen wird, auch wenn er einige Sätze nicht zu billigen und einige Erlebnisse nicht nachzuempfinden vermag.

Matthias V e r e n o

Einführung in die Tiefenpsychologie. Von

Peter R. Kofstätter. „Erkenntnis und Besinnung“ Band I. Wilhelm Braumüller Univ.-Verlag, Wien.

Als erster Band der wissenschaftlichen Reihe „Erkenntnis - nd Besinnung“, die unter Mitwirkung ausgezeichneter österreichischer Gelehrter von Erich Heintel herausgegeben wird, ist dieses bedeutsame, mit seiner umfangreichen Literaturverarbeitung auch als Nachschlagewerk ausgezeichnete Buch erschienen. Es stellt einen der ersten Versuche von Seiten der Fachpsychologie dar, das Gesamtgebiet der Tiefenpsychologie aufzuarbeiten und damit der Psychiatrie den Vorrang abzulaufen. Dieser Umstand und ein zweiter, daß nämlich Hofstätter nicht nur praktisch ausübender Psychologe und Psychotherapeut, sondern darüber hinaus scharfer Methodenkritiker ist, gibt dem Werk den Charakter'einer umfassenden Grundlagenkritik, bei der das traditionelle Begriffsinventar der Tiefenpsychologie nicht eben überall glänzend besteht. Hofstätters Werk ist die universellste Stellungnahme zum Thema in den letzten Jahren und zur Einführung wie zur Vertiefung in gleicher Weise geeignet, niemals fachwissenschaftlich eng und langweilig, immer geistreich geschrieben.

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