Werbung
Werbung
Werbung

Konrad P. Liessmanns Buch über ästhetische Empfindungen. von bernhard braun

Die Ästhetik ist ein eher junges Genre menschlicher Reflexion. Das Schöne fügte sich über viele Jahrhunderte nahtlos in die Systematik der Metaphysik, war Teil der Seinslehre. Freilich blieb es stets ein schwierig zu handhabendes Motiv, das immer wieder gegen die philosophische Domestikation aufbegehrte. So schon bei den Sophisten in Athen oder bei den Nominalisten im Mittelalter. Noch heftiger geschah dies, als mehr und mehr Handwerker, Künstler und Architekten die Kreise der Philosophen störten: Die Venezianer stellten sich mit sinnlicher Farbigkeit gegen den Wissenschaftsanspruch der Florentiner Renaissancekünstler, und in Barock und Klassik tobte ein Streit zwischen kreativem Freiheitsanspruch der Kunst und deren Regulierung durch die Akademieästhetik.

Dies mündete in den offiziellen Beginn der Ästhetik im modernen Sinn bei Alexander Baumgarten, wo sie im Gefolge des Empirismus von der aisthesis, der sinnlichen Empfindung her, entworfen wurde. Immanuel Kant holte sie wieder an die kurze Leine der Philosophie zurück. Das universal gültige ästhetische Geschmacksurteil schließt Reiz und Rührung aus. Dies leitete zu den atemberaubenden elaborierten Theoriekonstruktionen der Ästhetik im 20. Jahrhundert, die nichts weiter waren als die Fortsetzung jeweiliger philosophischer Systeminteressen. Es war Nebensache, dass sich dies alles immer mehr von der Realität der Kunst entfernte, ganz zu schweigen von der Kompetenz solcher Theoriekonstrukte gegenüber den zeitlosen alltagsästhetischen Erfahrungen.

Konrad Paul Liessmann unternimmt im vorliegenden Buch den Versuch, vor solchem Hintergrund die "Empfindungsästhetik" des 18. und 19. Jahrhunderts zu rehabilitieren. Er will ihren Sinn für Empfindung und Sinnlichkeit für die ästhetischen Phänomene der Gegenwart fruchtbar machen, ohne dabei den philosophischen Begriff zugunsten völliger Subjektivität des Geschmacksurteils preiszugeben. Er tut dies beherzter als andere in der zeitgenössischen Literatur, von Wolfgang Welsch bis Gernot Böhme, und ist, jedenfalls was den ersten Anspruch betrifft, kurzweilig und erfolgreich. Nach Klärung des Basisbegriffs der Empfindung entfaltet der Autor, sich an Johann Georg Sulzer, Moses Mendelssohn, Friedrich Schiller, Jean Paul, Friedrich Schlegel und Immanuel Kant orientierend, ein phänomenologisches Kaleidoskop von Kategorien des Kunst- und Ästhetikdiskurses der Gegenwart. Es reicht vom schlichten Gefallen über das Grauenhafte, Lächerliche, Interessante, Hinreißende, Spannende, Langweilige bis zum Ekelerregenden und dem Kunstschock.

Wer einen solch großzügigen Rahmen zulässt und den nach den Einsichten der Postmoderne auf Popularkultur, Design und Medien entgrenzten Kunstbegriff der Gegenwart ernst nimmt, tut sich mit der Universalität eines ästhetischen Urteils naturgemäß schwer. Eine ästhetische Erfahrung wird als "Schwellenerfahrung" äußerst komplex und bleibt für den Diskurs offen. Indes galt nicht nur für Adorno, allen Wahrheitsansprüchen zum Trotz: de gustibus est disputandum; dieser Diskurs bleibt auch ein angemessener Ausdruck angewandter Ästhetik für den mündigen Kunstkonsumenten - und Liessmanns Vorlage dafür ein bestens geeigneter Einführungskurs.

Reiz und Rührung

Über ästhetische Empfindungen

Von Konrad Paul Liessmann

WUV Verlag, Wien 2003

190 Seiten, kart., e 22,70

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung