Die Ästhetik ist mehr

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Elmar Waibl, Philosoph an der Universität Innsbruck, wollte eine Geschichte der Ästhetik schreiben. Das Werk ist auch eine gute Einführung in die Philosophie.

Griechenland, Wiege Europas? Hier entsprangen Politik, Literatur, Architektur, Skulptur und nicht zuletzt das philosophische Denken. Dass aber so wie heute in der griechischen Antike schon „ästhetisch“ gedacht wurde, ist die Überraschung von Elmar Waibls Buch. Fast die Hälfte hat er für die Antike reserviert.Das Ergebnis? Seit der Antike lautet die Grundfrage der Ästhetik: Ist die Schönheit in der Wirklichkeit gegeben, oder erscheint uns etwas nur als schön? Die Pythagoräer meinen Ersteres, die Sophisten das Zweite.

Worin liegt die Schönheit?

Pythagoras sah das Schöne im Maß, in der Proportion, in Zahlenverhältnissen. Eine solche Mathematik des Schönen wird in Design und Naturwissenschaft noch heute gesucht. Platon, Aristoteles, ja noch das Mittelalter waren weitgehend dieser Meinung. In Maßen wurde der Kunst dichterische Begeisterung zugestanden. Die Werke der Kunst durften als Ganzheiten gegenüber den normalen Dingen keines ihrer Teile entbehren. Aristoteles entdeckte unser Streben, Tiere und Pflanzen nachzuahmen, ja diese Nachahmungen auch als schön zu empfinden. So sind die griechischen Säulen den eingekerbten Selleriestängeln nachgebildet, wie Demokrit bemerkte. Und wenn der Kirchenvater Augustinus dem sinnlichem Schwelgen Gott in absoluter Schönheit entgegensetzt, dann führt das, wie Waibl pointiert ausführt, zur Essenz des kargen, unbegleitet einstimmigen gregorianischen Chorals. Ihn verbreiten die Mönche des Stifts Heiligenkreuz heute weltweit mit Erfolg. Darüber hinaus hat schon Xenophon auf menschliche Schönheit als eine natürliche Herrscherin hingewiesen, mit der Göttliches irdisch präsent sei. Plotin begriff das Schöne als Licht aller Dinge aus Gott. Pythagoräisch gesehen ist die richtige ästhetische Einstellung jene der Kontemplation. So kann uns Kunst, an Ordnung orientiert, das Gleichgewicht wieder geben (Bild: Venus von Milo).

Definitionen der Ästhetik

Gegen diese objektive Auffassung des Schönen vertraten die aufklärerischen Sophisten, dass uns etwas nur schön vorkommt, dass das Schöne also subjektiv ist. Der Mensch ist so das ästhetische Maß der Dinge, hängt von Zeiten und Kulturen ab. Das fiel schon den Griechen an den verschiedenen Reaktionen auf Tattoos auf. Die Sophisten vertreten eine spielerische Kunst, in der sich der Mensch frei, „sophisticated“ betätigt. Sie wagen wie Friedrich Nietzsche, die Täuschung ästhetisch wertzuschätzen, jener Nietzsche, dem nur eine tief erschütternde Kunst die Erlösung bringt.

Man könnte den Verlust des objektiven Vorrangs des Schönen auch mit der Behauptung anderer ästhetischer Eigenschaften in Verbindung bringen.

Für Immanuel Kant war das Erhabene gleichberechtigt, im 19. Jahrhundert sogar das Hässliche. Waibl denkt so nicht. Auch stellt er den von Platon bekämpften Sophisten nicht die großen subjektiven Ästhetiker der Neuzeit zur Seite. Aber er gibt den Schriftsteller-Philosophen einen gebührenden Platz. Jean-Jacques Rousseau ist der ästhetische Ahnvater vieler Jugendbewegungen mit seinem „Zurück zur ästhetischen Natur, zur Landschaft“. Friedrich Schillers Entwurf einer ästhetischen Erziehung zur Gemeinschaft ist immer noch bedeutender Denkanstoß. Und Sören Kierkegaard schrieb gegen eine im 19. Jahrhundert massenhafte ästhetische „Wechselwirtschaft“ an, predigte ethische Bekehrung.

Schlüssiger Begriff von Kunst

Es verwundert, dass Waibl mehr mit moderner Kunst als mit moderner Ästhetik anfängt – Gustav Mahler, Arnold Schönberg, Adolf Loos. Hier wird seine Verbundenheit mit Wien spürbar, der Stadt seiner Studienzeit. Nur gehen die Ästhetik und Kunstphilosophie des 20. Jahrhunderts trotzdem ab, Walter Benjamin, Arthur Danto, die französische Ästhetik seit Jean-Paul Sartre. Wieso Waibl diese Zeit nicht berücksichtigte, bleibt unklar. Seine Kunstdefinition ist dennoch bündig.

Hier werden Ästhetik und Kunstphilosophie fest verankert. Die Ästhetik bezieht sich neben der Kunst auch auf die Natur, den Körper, die Landschaft, und das Ästhetische liegt im Schönen. Die Kunstphilosophie dagegen setzt Künstliches und Kunstvolles voraus, ein Können, das an Mitteilungen interessiert ist. Die Spannung zwischen diesen beiden überlappenden Bereichen ist seit 2500 Jahren ungebrochen.

Waibls Absicht war, eine Ideengeschichte der Ästhetik zu schreiben. Wenn nötig, umreißt er ganze Philosophien. So ist das gut illustrierte, lebendig geschriebene Buch mit einem gründlichen Sachregister auch eine Einführung in die Philosophie. Dabei greift Waibl, heute Vorstand des Instituts für Philosophie der Uni Innsbruck, auf zum Teil entlegene Quellentexte zurück. Knappe Zusammenfassungen lockern auf – wie bei Aristoteles von Umberto Ecos Roman „Der Name der Rose“.

Unsere Zeit bleibt immer präsent. So war schon Sokrates mit seiner Forderung modern, dass die Form der Funktion folgen muss. Börsen als griechische Tempel zu verkleiden, macht Börsen, wie Waibl sagt, nicht besser, nicht einmal ästhetisch.

Ästhetik und Kunst von Pythagoras bis Freud

Von Elmar Waibl,

UTB Facultas Universitätsverlag 2009

261 S., Kart. e 14,50

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