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Im Zeichen des „Brennenden Speers“

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Von Richard Llewellyn. Saturday Evening Post, May 23, 1953. (In deutscher Uebersetzung von Bischof Joachim Amann OSB, mit freundlicher Erlaubnis der Curtis Publishing Company, Philadelphia, Pa.)

Nairobi in Kenya ist die Hauptstadt in einem der wenigen übriggebliebenen Groß-wildtunlmelplätzen der Erde, wo Liebhaber einige Wothen lang jagen können. In den vergangenen Monaten ist das Land zum Menschenjagdrevier geworden; die Jäger sind Kenyas Pflanzer und Kaufleute, das Großwild sind die Stammesangehörigen der Kikuyu, durch die Mau-Mau-Krankheit .verseucht.

Bei einem flüchtigen Blick scheint in der kleinen, gutsituierten Marktstadt Nairobi so ziemlich alles in Ordnung zu sein. Ueberau auf den Straßen und Wegen bieten sich dem Auge beturbante Sikhs, weißbemützte Hindus; Briten im Schlapphut und die barhäuptigen Neger verschiedenster Stämme. Inderinnen in golddurchwirkten Saris, Moslims in engen weißen Beinkleidern und langen Satinfräcken, Europäerfrauen in zierlichen Baumwollkleidern. Außerhalb des Europäerviertels liegen kreuz und quer die Eingeborenensiedlungen, wo zwei und drei Familien in einem einzigen Raum zusammen wohnen, ohne jede sanitäre Einrichtung, und wo das Kanalisationsproblem einen Spaziergang durch die Quartiere unrätlich erscheinen läßt. Alles ist geschäftig, auf jede erdenkliche A4L Man hört Gerassel in den Straßen. Aber es ist nicht etwa nützliche Kehrichtabfuhr. Es ist ein Panzerwagen, gefolgt von Eingeborenenpolizei auf Lastautos. Die Europäerinnen tragen ihre Handtaschen unverschlossen, jedoch nicht aus Nachlässigkeit. In den Handtaschen liegen Schußwaffen neben dem Lippenstift. Die Männer zeigen ganz offen ihre Revolver, oder die herabhängende Rocktasche verrät wenigstens das Gewicht eines solchen. Und wenn geschossen wird, ist es ernst; man tötet, Männer, Frauen, ohne Unterschied, ohne langes Hin und Her.

„Ganz Kenya ist in einem trostlosen Zustand wegen dieser Mau-Mau-Angelegenheit“, sagt Mr. B. W. Havelock, ein erfolgreicher Pflanzer und Vorsitzender der Europäer in der gesetzgebenden Behörde. Er legt seinen Revolver in die Tischschublade zu seiner Rechten, und das im Memorial-House, mitten im Her-sen der Stadt Nairobi. „Die Leute müssen >ich darüber klar werden, daß Kenya unser Land, ist, unsere Heimat und unsere Existenzgrundlage. Wir sind durchaus nicht etwa ibenteuerliche Ausbeuter. Wohl sind wir hier sine merkwürdige Rassenmischung, aber wir

müssen einen gangbaren Weg des Zusammenlebens finden. Einschüchtern lassen wir 'uns nicht. Jetzt kämpfen wir, und wir werden kämpfen, so lange es nötig ist, und wenn der Kampf zu Ende ist, werden wir immer noch hier sein. Wir werden auch mit Mau-Mau fertig werden.“

So steht es mit der Großzahl der weißen Kenyabewohner, etwa 30.000 fleißigen Menschen. Sie sind sich keineswegs klar darüber, wie Mau-Mau angefangen hat, aber sie wollen mit dem unsichtbaren Schrecken fertig werden. Es ist für sie etwas Ungreifbares. Es ist die Kikuyu-Seuche, genannt Mau-Mau.

Eingeborene, die ein Leben lang in Europäerhaushalten gedient haben, sind Kikuyu. Kellner, Hausdiener, Küchenpersonal in Hotels und in Bars. Kenyas Taxi- und Omnibuschauffeure, Portiere, Dienstmänner, Straßenkehrer,- alle sind Kikuyu. Die „Verseuchten“ von den „Harmlosen“ zu unterscheiden, ist bisher nicht gelungen.

Woran kann man einen Mau-Mau-Anhänger erkennen ?

An einem Hieb mit einem „Panga“, einem 60 Zentimeter langen und acht Zentimeter breiten, haarscharf geschliffenen Buschmesser, der einem den Arm abschlägt oder das Genick bricht, unvorhergesehen, blitzartig, meist im eigenen Haus, ein Hieb, von einem ausgeführt, auf den man gerade noch geschworen hätte, daß er ein Freund sei. >

„Mitte 1946 begann es mit leisem Geflüster“, sagte Kommissär O'R o r k e, Kenyas Polizeichef. „Es gingen Gerüchte über die Ablegung irgendeines Eides im Lande herum. Wir wußten nicht, was für ein Eid, noch wozu. Wir begannen die Fühler auszustrecken. Nach dem englischen Gesetz kann niemand ohne Beweis einer begangenen Ungesetzlichkeit verhaftet werden. Diese Schwäche — wenn es eine

Schwäche ist — ließ dem Mau-Mau-Wahnsinn freien Lauf.“

Vier volle Jahre der Verschwörung verstrichen, bevor die Polizei tief im Kikuyu-Wald auf eine Gruppe von Eidschwörern, mitten in der Zeremonie, stieß. Siebzehn Männer und Frauen aus dem Kikuyu-Stamm wurden verhaftet.

„Das gab uns ein paar kleine Anhaltspunkte, aber nicht mehr“, bemerkte Kommissär O'Rorke. „Die Leute hatten geschworen, alle Europäer und alle eingeborenen Christen umzubringen, und jeder hatte acht Dollar Eidestribut zu bezahlen. Ein Arbeiter erhält etwa 10 bis 15 Dollar Monatslohn. Es war also ein ganz ansehnlicher Tribut. Wofür aber wurde dieses Geld benützt. Wer verpflichtet sich zu dieser Abgabe? Wo sollten wir zugreifen? Schauen Sie sich einmal die Landkarte an!“

Kenya — 224.000 Quadratmeilen groß — liegt landeinwärts an der ostafrikanischen Küste, beinahe unter dem Aequator.

„Es ist ein Riesengebiet.“ Kommissär

O'Rorke schaut über seine Halbmondbrille mit der täuschenden Gutmütigkeit eines Berufspolizisten. „Das ganze Hochland da im Norden ist Kikuyu-Land. Sehen Sie die Unzahl kleiner Flüsse und Täler. Das Land ist sehr schwer zugänglich und reich an Wild jeder Art. Die Pflanzungen liegen alle den drei nördlich verlaufenden Hauptwegen entlang. Darüber hinaus ist alles Wildnis und Busch. Dazu die Berge! Die Kikuyu wachsen im Busch auf. Sie sind geborene Pfadfinder, außerordentlich intelligent, und sie kennen ihr Land durch und durch. Hausdiener oder Taxichauffeur, bring einen von ihnen dort hinaus in die Wildnis, und schon ist er auch wieder ganz und gar daheim.“

Fünf Millionen Eingeborene können wählen zwischen einem Leben inner-, halb der Stammesorganisation in einem sogenannten Reservat, oder sie können wie die 1,200.000 Kikuyu bei den Europäern oder Asiaten Arbeit suchen. Man entferne die Kikuyu-Angestellten aus den Haushalten, den Geschäften und Plantagen, und das Leben im Lande erstarrt.

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