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„Christlich und europäisch“ ?

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„'Alles Christliche und Europäische“ — diese Zusammenstellung ist nicht nur ein Anachronismus. Sie ist Ironie. Aber warum das Wortspiel nicht gebrauchen, und warum nicht den Teufel nennen? Denn wenn man von eigener Weisheit verlassen wird, könnte man sogar noch den Papst anrufen, daß er die Mau-Mau eventuell exkommuniziere, wie er die „Hitler“ und „Mussolinis“ hätte exkommunizieren müssen.

Der Artikel Richard Llcwellyns zeigt recht deutlich, daß sich auch die Mau-Mau-Ver-schwörer derselben Phrase, „Christlich und Europäisch“, bedienen: „Fort mit allen Weißen und mit allen Christen!“ Wenn die Mau-Mau in Kenya nur rufen würden: „Fort mit allen Christen“ —- würde da wohl Militär in großen Massen aufgeboten, eigene Feldkommandanten abgeordnet und Massenverhaftungen vorgenommen werden? — Vielleicht würde dann der „Brennende Speer“, anstatt wie jetzt im „Königin-Elisabeth-Club“ brummen zu müssen, beinahe herzlich zu intimen Gesprächen und eventuellen Kompromissen nach London eingeladen, wie man es mit anderen blutigen Christenverfolgern unserer Tage leider gemacht hat (um bei der Krönungsfeier der Krone noch einen billigen Stein einzusetzen).

Kenyattas Hetzreden zeigen, daß sich ohne Zweifel in den Köpfen vieler Eingeborenen die falsche Idee festgesetzt hat, daß christliche Heilsverkündigung und europäische Unternehmungen in den Kolonialländern identisch oder wenigstens innerlich zusammenhängend seien. Und man scheint geradezu froh zu sein, aus Worten und unseligen Taten der Mau-Mau beweisen zu können, daß der Kampf dem Christentum gilt.

Die durch Mau-Mau irregeführten Massen (gegen 800.000 Eidschwörer) glauben wohl zu einem Teil, daß christliche Heilsverkündigung und europäische Erschließung des Landes (mit all den bitteren, nicht notwendigen Nebenerscheinungen) miteinander identisch seien, während die Herren, die diese Zusammenstellung in ihren Berichten und Reden gebrauchen, ganz genau wissen, daß „christlich und europäisch“ heute nur noch herzlich wenig inneren Zusammenhang haben; aber Politik und Geschäft lassen es zeitweise ratsam erscheinen, den „Bindestrich“ zu machen.

Nach 25 Jahren Arbeit unter verschiedenen Eingeborenenstämmen Britisch-Ostafrikas, kann der Schreiber dieser Zeilen sagen, daß sich die Eingeborenen, wo immer sie mit dem Christentum in Berührung kamen, niemals derart feindselig und geschlossen gegen „alles Christliche“ gestellt haben, wie man es den Mau-Mau nachsagt. Sie haben es aber sehr wohl beobachtet, wenn Christentum mit Worten gepredigt, aber in Taten nicht immer gelebt wurde. Die Einstellung der Eingeborenen zur christlichen Missionstätigkeit war ein vorsichtiges, mißtrauisches Abwarten. Man hielt das altüberlieferte Heidentum mit seinen vielen, unerbittlichen, harten Bindungen, mit Zauberei und Aberglaube und oft drastischen Sanktionen doch für den besseren und sichereren — nicht den leichteren — Weg, weil darin ;,Lehre“ (Tradition) und „Leben“ offensichtlich, beim Individuum und bei den Massen, besser harmonierten als bei so vielen Weißen (inklusive Missionaren), die sich Christen nannten.

Nach längerer Beobachtung und kritischer Abschätzung kam der Massenzudrang zu den christlichen Missionen (katholischen und protestantischen). In ungezählten Dörfern und Siedlungen, in vielen Buschschulen primitivster Art konnten die Missionare das Evangelium verkünden.

In dem Bericht der königlichen Untersuchungskommission hieß es, daß „die Anfänge der Mau-Mau-Bewegung weit zurückliegen, - — daß schon bei Beginn der Dreißigerjahre die Eingeborenen in Kenya zu Tausenden den christlichen Missionsschulen abspenstig gemacht wurden. Die Kikuyu waren die ersten, die „unabhängige Eingeborenenschulen“, in welchen jeder Einfluß der Missionen ausgeschaltet wurde, gründeten.“

Also scheint doch Mau-Mau schon in seinen Wurzeln gegen Mission und Christentum gerichtet zu sein? Nun, die erwähnten Buschschulen der christlichen Missionen waren, auf einer absolut freiwilligen Basis, in erster Linie Katechismus-Schulen, dem Hauptzweck der Missionen entsprechend. Der Standard war nicht hoch, teilweise wirklich primitiv. Aber Tausende von Eingeborenen kamen freiwillig und (sie lernten auch etwas lesen, schreiben und rechnen — was die Regierung später mehr als einmal zu verbieten versuchte) bereiteten sich auf die Taufe vor, die sie allerdings sehr oft erst lange Zeit nach Schulaustritt, aus individuellen Gründen auch erst 20 Jahre nachher, bekommen konnten. Heiden und Mohammedaner, die nicht Christen werden wollten oder nicht durften, wegen Einsprache der Eltern, besuchten diese Missionsschulen um der „weltlichen Bildung“ willen.

Ende der Zwanziger-, Beginn der Dreißigerjahre kam es in Britisch-Ostafrika zu der „Cooperation between the Government and the Missions for the Education of the African Communities“, das heißt zur Zusammenarbeit von Regierung und Missionen in der Erziehung der Eingeborenen. Die Regierung erklärte sich bereit, „unter gewissen Bedingungen“ den Missionen finanzielle Unterstützung für Erziehungszwecke zukommen zu lassen. Die Mis-

sionen nahmen die Einladung an (es blieb ihnen gar nichts anderes übrig), die einen optimistisch, die andern eher pessimistisch (weil die Idee nicht besonders originell war). Wer bei diesem Handel enttäuscht wurde, das könnte man eindeutig aus den Berichten der vielen Bischofskonferenzen ersehen, aus den Memoranden derselben an die Regierung, i n denen sich die Missionen um ihre eigentliche Existenz zur Wehr setzen mußten. Nach dem Grundsatz „Teile und herrsche“ wollte man den Auftrag Christi, „Lehret und taufet“, teilen. Die Regierung übernimmt und kontrolliert das „Lehren“, die Mission behält für sich das „Taufen“. Die „Zusammenarbeit“ wurde zu einem eigentlichen Schulkampf, in dem der Mission im Laufe von 20 Jahren Lasten aufgebürdet wurden, die sie kaum zu tragen vermochte und die zu der geleisteten Hilfe in keinem Verhältnis standen. Dabei “soll die Feststellung nicht unterlassen werden, daß die dadurch notwendig gewordene Anstrengung das Niveau der Missionsschulen gewaltig hob, so daß Heiden und Mohammedaner nun auch in Massen ihre Kinder in die Missionsschulen einschreiben ließen.

Aber gerade das, den Einfluß der christlichen Missionen im Lande zu stärken, war nicht beabsichtigt.

„Anfang der Dreißigerjahr e“, so schreibt ein Missionar aus Kenya, „wurde die Tendenz der Regierung immer offenkundiger, die Elementarschulen der Eingeborenen zu säkularisieren, der Regie und dem Einfluß der christlichen Missionen zu entwinden. Glücklicherweise hatte die Regierung nicht die nötigen Finanzen und Lehrkräfte zur Verfügung. So mußte der Plan zurückgestellt werden. Fast gleichzeitig ersuchte eine Gruppe abtrünniger, protestantischer Christen (zu denen Jomo Kenyatta gehört) das Erziehungsdepartment um Genehmigung zur Gründung von unabhängigen Eingeborenenschulen', frei von jedem Einfluß der christlichen Missionen. Diesem Gesuch wurde vom Erziehungsdepartment umgehend entsprochen. Die Eingeborenen durften die Säku-

larisierung ihrer Schulen nun selbst in die Hand nehmen. In kurzer Zeit entstanden weit und breit solche ,Independent Kikuyu-Schools*, .Unabhängige Eingeborenenschulen-, die, mit einem dünnen Firnis formlosen Christentums überzogen, das Täuschungsmanöver fertigbrachten.“

Aber Ende 1952 hatte die königliche Untersuchungskommission aus Kenya zu berichten: „Die unabhängigen Kikuyuschulea wurden alle auf Befehl der Regierung geschlossen, weil sie sich als die Brutstätten kommunistischer Umtriebe 'und christentumfeindlicher Verschwörung entpuppten.“ Man hatte sich ins eigene Fleisch geschnitten

Es sollen die Gefahren und Schrecken det blutigen, brutalen, grausamen Mau-Mau-Rebei-lion nicht übersehen werden. Aber es soll in der Besprechung dieser Revolte zwischen „Christlich“ und „Europäisch“ unterschieden werden, so wie man es in der Praxis schon längst voneinander getrennt hat.

All die Hetzreden des „Brennenden Speeres“, die R. Llewellyn in seinem Artikel anführt, lassen, wenn genauer besehen, schließen, daß Mau-Mau sich nicht gegen das Christentum richtet, sondern nur gegen Mißbrauch des Christentums oder eventuell auch gegen Missionsmethoden, die nicht im Evangelium oder Katechismus empfohlen werden. Der Missionsauftrag Christi lautet: Die Menschen aller Völker zu „lehren“, und wenn sie die Lehre Christi erfaßt haben und willens sind, sich mit der Gnadenhilfe Gottes dem Gesetze des Evangeliums zu unterziehen, sis zu „taufen“ ... und nicht, Sitten und Gebräuche zu verbieten und zu „bekämpfen“, bevor die Eingeborenen das Unsinnige, Verderbliche und Verwerfliche alter Sitten und Gebräuche, an deren Beobachtung sie im innersten Gewissen gebunden sind, eingesehen haben. Um das einzusehen, braucht auch ein Neger lange Zeit, aber „In patientia possidebitis animas“. „Geduld übend, werdet ihr die Seele besitzen.“

Um den Bann, den der Mau-Mau-Eid auf die Eingeborenen legt, zu lösen, werden von der Regierung die „Zauberer“ und „Medizinmänner“ zu Hilfe gerufen, denn wenn es eventuell gelingen sollte, den Teufel mit Beelzebub auszutreiben, braucht man Christus — „Thanks God“ — auch dazu nicht mehr. Aber auf alle Fälle schreibt man unterdessen über „Verfolgung alles Christlichen und Europäischen“, damit alle guten Christen beten sollen, daß es gelingt, „die Eingeborenen zu beruhigen und die Weißen zufriedenzustellen“. . .. ..

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