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„Tu es sofort!“

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Der Gegensatz der weißen und schwar- Rasse, der in Südafrika schon lange kein Geheimnis mehr ist, scheint nun auch in Ostafrika, in der englischen Ackerbaukolonie Kenya, in ein akutes Stadium getreten zu sein. Auch hier sind die rassenbedingten, die wirtschaftlichen und die in dem Aufeinartderprallen zweiter verschiedener Welten liegenden Schwierigkeiten zwischen Weiß und Schwarz schon lange vorhanden. Sie sind aber bis zu den Sommermonaten des heurigen Jahres ih keiner äußeren sichtbaren Aktion der Eingeborenen zum Ausdruck gekommen. Allerdings gab es in Kenya schon seit längerer Zeit eine Vereinigung afrikanischer Eingeborener, die Ktenya- Äfricä-Union, deren Führer der in London ausgebildete Neger Jomö Kenyattä iät. Seine Landsleute gaben ihm den schmückenden Beinamen įDter brennende Spteer". Aber diese Vereinigung Suchte, zurhindest bis vor kurzem, das demokratische Gesicht zu wahren und ihre Ziele, Stärkung des eingeborenen Elements, auf friedlichem Wege unter dem wachsamen Auge der Köl'oniälverwaltung iü erreichen.

Dies scheibt nunmehr anders geworden zu seih, internationale Zeitungsagenturen berichten, daß Jomo Ktenyatta verhaftet wordteri sei. In illustrierten Zeitungen werden Bildter gebracht, die den „Brennenden Speer1' hoch vor seiner Verhaftung beim Verlassen des Gerichtsgebäudes in Nairobi zeigen. Er verläßt lächelnd das Gericht, in dem Mitglieder der Kenya-Africa-Union verhört werden, Weil man sie revolutionärer Tätigkeit verdächtigte. Die Vorgeschichte dieser

Verhöre ist röcht drastisch und Bit Bereits 40 Menschen das Löben gekostet. Verwüstete Farmen, niedergebränntö idaušėr, verstümmelte' Haustiere gehören ebenfalls zu dieser Vorgeschichte und Sind recht merkbare Alarmzeichen in Kenya.

Alle diese Terrortaten gehen atif elfte Gehbirriorgänisation zurück, die nach der Art der bei vielen afrikanischen und änderen Völkern vorhandenen Gbheiin- bünde gebildet wurde. Dieser Geheimbund führt die Bezeichnung. Mau-Mau, was in der Sprache dör Kikufü sö viel als „Tu es sofort“ oder „Tu fes ohne Aufschub", „Handle schnell" bedeutet. Das Zentrum dieser Widerstandsbewegung der Eingeborenen scheint bei den Kikuyu zu liegen, denn dieser Mau-Mäu- Bund ist eine Kikuyu-Geheimgesellschäft, Und Jomo Kenyatta steht in Verdacht, ihr geheimer Organisator zu sein.

Die Kiküyu sind ein Bauernvolk dÖT Nordostbantu, das kulturell Stark uhtör hamitischen Einfluß steht und neben dem Ackerbau auch die Viehzucht aüsübt. Es lebt zwischen Nairobi und dem hohen Keniaberg, wo die Kikuyu Bananen, Mais, Maniok, Zuckerrohr in primitiver Weise, ohne Pflug, nur mit der Hacke bauen und das Buckelrind züchten. Interessant sind ihre Viehzüchtersitten, die sie alle mit der Viehzucht von den Hamiten übernommen haben: das Rind wird heilig gehalten, es wird nur bei feierlichen Anlässen, zum Beispiel bei einer Hochzeit, gegessen, Milch darf nur in Hölzgöfäßen aufbewahrt werden, dieFrauen werden von aller Arbeit bei den Rindern ferngehalten, .mit besonderer Vorliebe trinkt man das Blut der Rinder, das mit Hilfe des Aderlaßpfeiles gewonnen wird. Die Religion der Kikuyu ist ein tiefer Glaube an die Kraft und Macht der Ahnen, über welchen ein sich im Gewitter, in Blitz und Donner bezeugender Hochgott namens Ngai steht. Da die Kikuyu den Glauben haben, daß sich die Ahnen in Schlangen verwandeln können, werden die Schlangen heilig gehalten, sie werden gefüttert und gehütet, man darf sie nicht töten und das Schlangenfleisch darf auch nicht gegessen werden. Ja, es bestehen bei ihnen seit alters her eigene Bünde, Schlangenverehrergesellschaften, die zur Zeit des großen Regens oder bei Auftreten eines Regenbogens in Funktion treten und der Befruchtung der Felder dienen,, also eine Funktion ausüben, die durchaus harmlos und allgemein nützlich ist.

Nicht immer ist dies bei den Bünden und Geheimgesellschaften der Naturvölker so der Fall. Weniger harmlos ist zum Beispiel die Mumbo-Djumbo-Gesell- schaft im Sudan, die sich zur Aufgabe setzt, über die eheliche Treue der Frauen zu wachen. Wird dem Bund bekannt, daß sich eine Frau gegen die eheliche Treue vergangen habe, so befiehlt der Bund alle Frauen des Dorfes zu einem nächtlichen Tanzfest. Keine Frau wagt es, diesen Befehl unbeachtet zu lassen. Alle erscheinen, die meisten wohl mit gutem ruhigem Gewissen, viele aber zagenden Herzens, weil sie nicht wissen können, ob ihr Fehltritt offenbar geworden ist. Der als Maske verkleidete Funktionär des Bundes weiß aber sehr wohl, um welche Frau es geht, sie wird ergriffen, an einen Pfahl gebunden und erbarmungslos ausgepeitscht.

Noch gefährlicher sind die Löwen- und Leopardenbünde im Kongo, im Sudan und an der Guineaküste. Von den Mitgliedern dieser Bünde heißt es, daß sie sich in Löwen und Leoparden verwandeln können. Sie morden nachts ihre Opfer mit Hilfe einer Eisenkralle, auf diese Art die Krallen des Leoparden oder Löwen nachahmend. Es mag sein, daß hinter diesen N orden nicht nur das Bestreben liegt, dem Bunde und seinen Angehörigen möglichst viel Macht zu verleihen, sondern auch das Motiv, sich die geistige Kapazität des Getöteten anzueignen und so sich selbst und den Mitgliedern des Bundes Glück im persönlichen Leben, in der Wirtschaft, auf der Jagd oder im Kriege zu verschaffen. Es ist natürlich klar, daß auf alle Fälle die Vornahme dieser Terrorakte den Bünden und ihren Angehörigen große Macht verleiht. Sie alle umgeben ihre Veranstaltungen mit vielen geheimnisvollen Zeremonien und strengster Geheimhaltung — daher wissen wir von diesen Geheimbünden nicht allzuviel — und verschaffen sich dadurch einen noch größeren Nimbus. Das Bedürfnis und das Bestreben, Angehöriger eines solchen Geheimbundes zu werden, ist bei den Eingeborenen ziemlich groß.

Die Schöpfer des Mau-Mau-Geheim- bundes der Kikuyu in Kenya greifen sichtlich vollkommen bewußt auf diese Tradition der Geheimbünde zurück und gehen natürlich weit über die harmlose Bedeutung der Schlangenverehrerbünde hinaus. Sie verwenden bei ihren geheimen Zusammenkünften magische Symbole, führen blutige Riten durch, bei welchen Tiere getötet werden, und lassen bei dem Blute dieser geschlachteten Opfer ihre Mitglieder schwören, bestimmte politische Gegner zu töten oder selbst zu sterben. Man hat in einer Eingeborenenhütte das blutige Haupt eines Schafes gefunden, bei dessen Blute eben der unlösliche Eid der Mau-Mau geschworen wurde.

Es ist wohl anzunehmen, daß viele der Angehörigen dieser geheimen terroristischen Mau-Mau-Gesellschaft an die magische Kraft der Zeremonien sowie an die magische Wirkung der durchgeführten Tötungen glauben, was aber von dem „Brennenden Speer", also dem in England erzogenen Jomo Kenyatta — falls er wirklich der Organisator der Mau-Mau ist — mit Fug und Recht kaum angenommen werden kann. Für ihn ist die Mau-Mau-Gesellschaft eine Terroraktion zur Erreichung politischer nationalistischer Ziele, die mit dem Schlagwort umschrieben werden können: Was weiß ist, muß hinaus aus Kenya, und alle Schwarzen, die mit den Weißen Zusammenarbeiten, müssen bestraft werden. Daher hat man nicht nur die Farmen der Weißen verwüstet, sondern auch einen Häuptling der Kikuyu, Waruhiu Wa Kungu, der mit der britischen Kolonialregierung in loyaler Weise zusämmen- arbeitete, am 7. Oktober dieses Jahres ermordet.

Die britische Kolonialverwaltung hat in üblicher Weise und nicht unklug auf dieses besondere Fanal reagiert: sie hat Truppen in Kenya zusammengezogen, um Leben, Hab und Gut der Weißen, aber auch der treuen Schwarzen zu schützen, sie hat den mutmaßlichen Organisator des Mau-Mau-Geheimbundes verhaftet, um ihm den Prozeß zu machen, und dem ermordeten Kikuyuhäuptling ein großes, feierliches Staatsbegräbnis veranstaltet. An diesem feierlichen Trauerakt haben viele Weiße und Schwarze in Eintracht teilgenommen. Er fand auf dem Bauernhof-des ermordeten Waruhiu Wa Kungu statt, der ein getaufter Christ gewesen ist. Waruhiu wurde in der Nähe von Nairobi unter einem Baume seines Hofes bestattet. Eine große stattliche Trauergemeinde von Negern und Europäern hatte sich unter der Führung des Gouverneurs versammelt. Alle Teilnehmer erschienen trotz der angekündigten Repressalien der Mau-Mau, auf diese Art demonstrierend, daß eine Zusammenarbeit von Weiß und Schwarz gewünscht und möglich ist.

Es ist auch für uns Österreicher, die wir nicht unmittelbar von diesen kolonialen Sorgen berührt werden, ganz interessant, die weitere Entwicklung dieser Aufruhrbewegung in Kenya zu verfolgen. Die sofortige Reaktion der Mau-Mau auf das Staatsbegräbnis in Nairobi waren weitere Brutalakte und Morde an führenden regierungstreuen Eingeborenen Kenyas. Nach den neuesten Nachrichten greift diese Widerstandsbewegung immer mehr um sich und scheint bereits über die Bedeutung eines Geheimbundes weit hinauszugehen.

Die Kikuyu leben in einer Art Reservation, die ihren Bedürfnissen nach Land nicht entspricht. Ihre Empörungsbereitschaft hat daher menschlich verständliche Gründe. Von der Lösung dieser Landfrage wird wohl die Beruhigung der Kikuyu abhängen.

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