"Intercontinental Frömmigkeit"

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Abdellah Hammoudis Geschichte einer Pilgerfahrt nach Medina und Mekka.

Ein Glücksfall für Neugierige, denen auf großen Schildern in sieben Sprachen auf den Straßen nach Mekka und Medina das Weiterfahren untersagt wird: Abdellah Hammoudi, geboren 1945, Professor für Ethnologie an der Princeton University, machte 1999 den Haddsch, die jedem Moslem, der es sich finanziell und gesundheitlich leisten kann, vorgeschriebene Pilgerreise nach Mekka und Medina.

Aufbruch aus Neugier

Nicht die Frömmigkeit trieb den aus Marokko gebürtigen Gelehrten, denn er hatte sich seit langem von den in seiner Kindheit und frühen Jugend erlernten Glaubenspraktiken entfernt. Er wollte begreifen, was die Begegnung mit den heiligsten Stätten des Islam in den Gläubigen auslöst, wie die Erinnerung an die Heilstaten Gottes und die Lehren des Propheten heute gelebt wird und welchen Sinn die strengen Ritual-Regeln haben. Anders als nicht-muslimische Mekka-Eindringlinge, etwa der berühmt-berüchtigte britische Abenteurer Richard Francis Burton im 19. Jahrhundert, konnte Professor Hammoudi jenen Weg beschreiten, den Muslime aus aller Welt gehen, nämlich den regulären Behörden-Spießrutenlauf.

Seit den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts teilt Saudi-Arabien, "ein scheinbar theokratischer, in Wirklichkeit aber totalitärer Nationalstaat", jedem Land eine bestimmte Pilgerquote zu. Hammoudi wollte sich von seiner Heimat Marokko aufmachen und brauchte dazu fünf Monate Vorbereitungszeit, 30 Passbilder, große Schmiergeldsummen, die Beamte ungeniert als "Almosen" und "Erkenntlichkeiten" deklarierten, Impfungen und Zeugnisse, dass er die vorgeschriebenen "Schulungen" absolviert habe, in denen die Regeln für die Gültigkeit des Haddsch gelehrt werden. Nicht zu vergessen, brauchte er die obligate Kleidung für Männer, Sandalen ohne Schnallen und zwei ungesäumte Tücher, die an das Leichentuch erinnern.

Die erste Station: Medina, die Stadt, in der der Prophet begraben liegt. Das Grab sieht er nur durch Sehschlitze, denn die wahhabitische Form des Islam verbietet die Verehrung von Grabstätten. Als teilnehmender und täglich schreibender Beobachter nimmt er kritisch die unheimliche Verquickung von Religion und Geschäft wahr: Die Pilger sollen Anbeter sein und Käufer. Beten sie nicht in der Moschee, strömen sie auf die Märkte. Hotels in Medina heißen z. B. "Intercontinental Frömmigkeit".

Und dann passiert das Unerwartete: Die Pilger lassen sich trotz gelegentlicher Wutausbrüche gegen die Schikanen der Religionspolizei, die verstopften Toiletten, die nicht funktionierenden Transportmittel, trotz Hitze, Staub, schlechtem Essen, nicht von ihrem Ziel abbringen. Sie wollen eine "vortreffliche Wallfahrt" machen, sie lassen sich ergreifen, sind erschüttert, vergießen Tränen ... Und dem geschulten Wissenschafter ergeht es ebenso, besonders beim Umlauf um die Kaaba, jenem mit bestickten Tüchern verhängten würfelförmigen Bau in Mekka, von dem es heißt, Abraham habe ihn errichtet.

Auch Hammoudi kann ein Aufbrechen religiöser Gefühle in sich nicht verhindern. Der Gelehrte in ihm meldet sich immer wieder zu Wort, auch der Mensch, der unter den ungeheuren Strapazen leidet, unter dem bestialischen Gestank von Millionen Opferschafen, dem Gedränge, den bisweilen auftretenden Fanatikern. Trotz aller Widrigkeiten erlebt er die befreiende Wirkung der Rituale, vor allem bei der sogenannten Steinigung des Teufels.

Erschütterung in Mekka

Eine Pilgerreise nach Mekka und Medina dauerte früher Monate, sogar Jahre. Heute kommen die Gläubigen aus aller Welt per Flugzeug und sollen Saudi-Arabien spätestens nach sechs Wochen wieder verlassen. Hunderttausende versuchen dennoch, im Land zu bleiben und Arbeit zu finden. Die Heimkehrer, unter ihnen auch der Autor, fühlen sich verwandelt und dürfen bis zu ihrem Lebensende den Ehrentitel Haddschi führen.

Hier liegt ein differenziertes Buch eines hoch gebildeten Mannes vor. Spannend, berührend geschrieben. Ein Zeugnis auch gegen die Tyrannei des Einheitsdenkens, das die USA derzeit in Länder mit uralter Tradition exportieren wollen unter dem fragwürdigen Schlagwort "democracy".

Saison in Mekka

Geschichte einer Pilgerfahrt

Von Abdellah Hammoudi

Aus dem Französischen von Holger Fock und Sabine Müller

C. H. Beck, München 2007

310 Seiten, geb., € 25, 60

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