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Mit G’walt und Qualtinger

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Dort, wo einst nach dem März, dem März 193 8, der Wiener Werkelmann seinen Leierkasten drehte, wo schlappschwär.zige Chinesen forsche Japaner demoralisierten, hat nun auch die junge Generation des politischen Kabaretts endgültig ihre Zelte aufgeschlagen. Mit dem „Brettl vor dem Kopf” begann es, damals noch im „Kleinen Theater im Konzerthaus”. Wien hatte wieder ein politisches Kabarett, das diesen Namen verdiente. Auf das „Brettl vor dem Kopf” folgte — schon in der Liliengasse — mit großem Erfolg das „Blatt vor dem Mund”. Heute halten wir bei Nummer 3, beim „Glasl vor dem A u g”, durch das ein geehrtes Publikum und eine geehrte Oeffentlichkeit gebeten sind, ihre Umwelt, aber vor allem sich selbst zu betrachten. Die Stützen des alten Teams Bronner-Merz-Martini und — last, nöt least — Helmut Qualtinger sind beisammen geblieben. Einige Nebenpersonen gesellten sich hinzu; ihre Rolle blieb aber auf die der Stichwortbringer und Edelkomparsen beschränkt.

Durch das „Glasl vor dem Aug” sieht man also durch beinahe drei Stunden wieder das rasante Programm eines angriffslustigen und um Pointen nicht verlegenen politischen Kabaretts. In manche Ecken und Schlupfwinkel unseres politischen und kulturellen Lebens fällt der Blick. Da und dort freilich hat „das Glasl” einen kleinen Dioptrienschaden. So, wenn zwar mit Recht an der Vergewaltigung des Kaiser-Franz-Joseph-Bildes durch allzu geschäftstüchtige Filmregisseure Kritik geübt, zu diesem Behufe aber eine noch bösere Zerrgestalt des alten Kaisers auf die Bretter bemüht wird. Auch das „Engelmacherin- Couplet” balanciert bedenklich an der Kippe zwischen Parodie und Peinlichkeit. Zuviel gewollte „Lustigkeit” wird gewaltsamer „Humor”… Da halten wir uns schon lieber an Qualtinger, an diesen Wiener Vollblutschauspieler, später Nachkomme aus dem Hause derer von Stranitzky. Seine Drollerien spielen alle vor jenem dunklen Vorhang, der stets hinter echtem Wiener Humor gespannt ist. Ganz deutlich wird dies in dem Halbstarkencouplet „Weil uns so fad ist…” — Nachfolge des schon legendären „Gschupften Ferdls”. Nicht zu verachten auch sein leibhaftiges „Schnulzodron” und der „Jeder- niann-Cölläpso”.’ Ein Kabinettstück, das kleine Funkwagenintermezzo ih dem ansonsten etwas schief geratenen Sketch „Die Bestie von Stodl”. Wenn schon von der Optik die Rede ist, so sei nicht verschwiegen, daß das „Glasl” seinen Brennpunkt etwas nach rechts verlagert hat. „Die Linke” wird, wenn man von einigen konventionellen Bundesbahnwitzen absieht, kaum eines (kritischen) Blickes gewürdigt. Achtung! Gefahr eines Okularfehlers.

Dennoch und trotzdem: Ein politisches Kabarett, in das man in- und ausländische Freunde führen kann. Führen soll. Unser einziges.

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