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Wiener Kabarett – heute

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Heute gibt es in Wien drei Kabaretts, deren Leiter sympathischerweise keinen Hehl daraus machen, daß sie mit ihrer Kleinkunst möglichst viel Geld verdienen wollen. Uber dieses gemeinsame Grundanliegen hinaus haben aber die Leiter der drei Kleinbühnen verschiedene Ansichten über die Aufgaben des Kabaretts.

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Heute gibt es in Wien drei Kabaretts, deren Leiter sympathischerweise keinen Hehl daraus machen, daß sie mit ihrer Kleinkunst möglichst viel Geld verdienen wollen. Uber dieses gemeinsame Grundanliegen hinaus haben aber die Leiter der drei Kleinbühnen verschiedene Ansichten über die Aufgaben des Kabaretts.

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Mit dem Begriff „Kabarett” hat man seit der Jahrhundertwende die verschiedensten Vorstellungen verbunden. Das Wort selbst stammt aus dem Französischen. „Cabaret” hießen in Frankreich die Literatenkneipen, in denen die Künstler ihre Werke selbst vortrugen. Im besonderen aber wird das Pariser „Chat noir” als die Geburtsstätte des Kabaretts angesehen. Bald fand die neue Kunstform, in der der Solovortrag und der Sketch vorherrschten, nach Deutschland auch in Wien begeisterte Anhänger. Felix Salten, der sich zur Gründung seines „Jung-Wiener Theaters zum Lieben Augustin” den kabaretterprobten Wedekind aus Deutschland geholt hatte, fand bald Nachahmer: „Nachtlicht”, „Hölle”, „Fledermaus”, „Femina” sind nur einige der Namen jener Lokale, die nun in rascher Folge eröffnet wurden und von denen lediglich der von dem Wiener Schauspieler Egon Jordan gegründete „Simpl” für die Geschichte der Kleinkunst von Bedeutung ist.

Mit der Zeit verflachte das Niveau der Darbietungen in den einzelnen Etablissements durch die merkantil bedingten Zugeständnisse der Direktoren an das breite Publikum. Da zu Beginn der dreißiger Jahre der Name „Kabarett” den üblen Beigeschmack von seichtem Amüsierbetrieb hatte, stellte Stella Kadmon 1931 ihr Kellertheater, das sie mit einigen Kollegen vom Beinhardt-Seminar im Cafė Prückl eingerichtet hatte, als „Kleinkunstbühne” vor. Die wirtschaftliche und geistige Situation Wiens um diese Zeit war der beste Humus für die kritische Auseinandersetzung mit aktuellen Problemen in einer literarisch anspruchsvollen Form. Das Eröffnungsprogramm des „Lieben Augustin”, das für Peter Hammerschlag die meisten Texte verfaßt hat, beschäftigte sich zunächst recht anspruchslos mit den kleinen Alltagssorgen des Durchschnittsbürgers („Die Junggesellensteuer”, „So liebt Wien”, „Straßenverkäufer”, „Das Gesinnungsschwein”, „Gedanken einer Bardame”, „Das ungeborene Kind spricht” usw.). Ab dem vierten Programm, das im März 1932 Premiere hatte, wurden die einzelnen Nummern — allerdings ohne starken Bezug — unter einen gemeinsamen Titel gestellt, was vor allem die Ankündigung in den Zeitungen erleichtern sollte. Mit der Einführung eines längeren Mittelstücks, das als Höhepunkt des Abends gedacht war, näherte sich das Kabarett merkbar dem Theater. Literarisch wurde der „Liebe Augustin” erst, als den Hausautoren die Ideen ausgingen: mehr der Not gehorchend brachte man Ringelnatz, Valion, Kästner und Tucholsky auf die Bühne. Mit dem Einzug Hitlers mußte „Der liebe Augustin” seinen Spielbetrieb einstellen. Das letzte Programm, dessen Nummern bereits zu einer Art kabarettistischer Revue ineinander verflochten waren, betitelte sich „Der Durchschnittsmensch” und sezierte die mehr oder weniger liebenswerten Schwächen der Zeitgenossen.

Zur gleichen Zeit, als den „Lieben Augustin” sein Schicksal ereilte, wurde auch eine andere Wiener Kleinkunstbühne auf höhere Weisung geschlossen: die „Literatur am Naschmarkt”, die 1933 im Keller, den heute das „Ateliertheater” bespielt, dem Wiener Publikum ihr Eröffnungsprogramm präsentierte. Die Führung der Bühne lag in den Händen eines Autorenteams, dem der jetzige Journalist Doktor Rudolf Weys und F. W. Stein — die Gründer der „Literatur” — angehörten und zu dem sich ab der zweiten Saison Hans Weigel und Dr. Lothar Metzl gesellten. Die „Literatur” näherte sich in ihrer Programmgestaltung bewußt dem Theater: Das Mittelstück des zweiten Programms mit dem Titel „Die Metamorphosen des Herrn Knöllerl” dauerte fünfzig Minuten und stellte, wie Zeugen berichten, „echtes Theater auf der Kabarettbühne” dar. Mit der deutschsprachigen Erstaufführung von „The Long Christmas Dinner” des bis dahin in Österreich nur als Romancier bekannten Thornton Wilder in der Saison 1935/36 waren am Naschmarkt Theater und Kabarett eine recht glückliche Ehe eingegangen.

Als bestes Programm der „Literatur am Naschmarkt” wird das „erste österreichische Musical ernster Art” (Rudolf Weys) mit dem Titel „1913” bezeichnet, in dem Weys in visionärer Art Gedankenverbindungen zwischen dem Vorkriegsjahr 1913 und dem Jahre 1937 herstellte. „Endlich ein Theater, das eine moralische Anstalt ist!” schrieb damals Raoul Auemheimer. Im „Wiener Werkel”, das 1939 vom „treudeutsohen” Schauspieler Adolf Müller-Reitzner im Nobelkeller des ehemaligen „Maulin Rouge” in der Liliengasse eröffnet wurde, setzte man die Tradition der „Literatur” quasi „sub auspiciis” fort.

Nach dem zweiten Weltkrieg eröffneten Carl Merz, Fritz Eckhardt und Kurt Naohmann den „Lieben Augustin” aufs neue. Es folgte Rolf Olsen mit seinem „Kleinen Brettl”. Nach einigen Jahren wurden diese beiden Bühnen wieder geschlossen, da ihre Direktoren eine besser bezahlte Beschäftigung beim Film gefunden hatten. Den „Lieben Augustin” wandelte die mittlerweile aus der Emigration zurückgekehrte Stella Kadmon in das „Theater der Courage” um. Mit der Zusammenarbeit des Teams Bronner-Merz-Qual- tinger-Martini begann eine Zeit, die von den Kritikern heute in sehnsüchtiger Erinnerung als „goldene Brettl-Ära” bezeichnet wird.

Heute gibt es in Wien drei Kabaretts, deren Leiter sympathischerweise keinen Hehl daraus machen, daß sie mit ihrer Kleinkunst möglichst viel Geld verdienen wollen. Uber dieses gemeinsame Grundanliegen hinaus haben aber die Leiter der drei Kleinbühnen verschiedene Ansichten über die Aufgaben des Kabaretts.

„Meiner Meinung nach soll das Kabarett dem Erwachsenen die Schule ersetzen!” formuliert Gerhard Bronner, der experimentierfreudige Direktor des „Neuen Theaters am Kämtnertor”. „Die meisten Erwachsenen gehen mit der Bildung von 14jährigen, wenn sie studiert haben, von 18jäh- rigen, oder bestenfalls 23jährigen durchs Leben. Die einzige Möglichkeit, einem Erwachsenen, der glaubt eine abgeschlossene Bildung zu haben, neue Gedanken zu injizieren, geht über den Weg des Lachens. Man kann einem Menschen auf den Umweg über die Pointe Neuigkeiten und die gedankliche Konsequenz, die sich aus ihnen ergibt, vermitteln.”

Karl Farkas, der Altmeister des Wiener Kabaretts, sieht im Kabarett vor allem gehobene Unterhaltung: „Wir haben heute den großen Fehler, in allem eine Aufgabe und Aussagen zu suchen. Das Kabarett war ursprünglich eine reine Unterhaltungsfrage. Heute ist es Mode, Kabarett mit Hintergrund zu machen.”

„Gutes Kabarett sollte das Gewissen der Nation sein. Das hat vor njir schon jemand gesagt!” gesteht Kuno Knöbl, der Chef cler Brettelstudenten vom „Würfel”, der sich seit Dezember des vorigen Jahres im Cafe Savoy in der Himmel- pfortgasse etabliert hat. „Ich halte Kabarett für notwendig, da echte Kritik nur in einer unabhängigen Institution möglich ist, wie sie eben das Kabarett darstellt.”

Auseinander gehen die Meinungen der drei Kabarettisten auch bei der Verwirklichung ihrer Auffassungen auf der Bühne. „Mir ist jedes Mittel recht, das das Publikum ins Theater holt”, meint Gerhard Bronner in schöner Offenheit. „Ich ziehe die musikalische Form des Angriffs der Prosaform vor, weil in hübsche Melodien verpackte Bosheiten leichter verdaulich sind. Ich bin für Aggression, aber nicht ohne Maß und Ziel.”

Gegen kabarettistische Säureattentate stellt sich auch Karl Farkas: „In einer Demokratie ist es ungeheuer leicht, irgendjemanden zu beflegeln.”

Jugendlich aggressiv gibt sich Kuno Knöbl: „Das Publikum reagiert auf harte Angriffe viel besser als auf verklausü- lierte. Liebenswürdigkeit hat auf der Kabarettbühne meiner Meinung nach nichts zu suchen.”

Um die heutige Situation des Wiener Kabaretts zu beleuchten, verfolgt man am besten den Spielplan der Saison 1963/64. Da lieferte zunächst Bronner den Beweis, daß er nicht genug zündende Ideen für ein „österreichisches Musical” hat. „Die Arche Nowak” ging jedenfalls unter, Zuschauer und Kritik konnten sich vorher noch aus dem Theater retten. Übrig blieb von dem schlechtgebauten Schinakel das von dem ansonsten peinlich outrierenden Kurt Sobotka unzählige Male ins Publikum gefragte „Na, schlecht?”, das man noch heute allerorten und bei den unmöglichsten Gelegenheiten zu hören bekommt.

Etwa zur gleiohen Zeit kreierte man im „Simpl” einen ähnlichen, allerdings nicht halb so guten Slogan, indem man einen der Darsteller „Wer bezahlt das?”‘üeifgfethäße Ffägfe-ühd Antwortespiel”, in dem man jede Pointe schon zweimal gehört zu haben vermeinte.

Mittlerweile hatten sich auch die in Politik machenden Stürmer und Dränger vom „Würfel” in den Konkurrenzkampf geworfen. „Nerz beiseite” hatte dann auch glücklicherweise gleich zwei Nummern, in denen die Autoren ihre fundamentale Erkenntnis über den Alkoholkonsum in Österreich verbreitern, weiter zwei Quiznummern, einen Playboysketch und eine Zaubemummer, in der die Zauberei Peter Lodynskis reiner Selbstzweck war. Dazwischen gab es einige gute, und zwar sehr gute Sketchs („Atomschutzmännchen” und „Der Automat”).

„Wir bewegen uns stofflich im Kreis”, meinte Karl Farkas, der sich mit dem Motto „Das waren Zeiten!” für die im „Simpl” nun laufende Kabalettrevue die Ausrede der thematischen Notwendigkeit, alte Witze zu erzählen, geschaffen hat. Daß man sich im Nobelkeller in der Wollzeile drei kurzweilige Stunden lang bestens unterhält, verdankt man nicht dem Geist, der hier auf der Bühne verbreitet wird, sondern der unübertrefflichen Weise, wie er hier von den in bester Spiellaune agierenden Schauspielern nicht dargeboten wird. Man kann den „Simpl”-Leuten zumindest bescheinigen, daß hier Kabarett zwar zum reinen, aber keineswegs zum billigen (womit wiederum nicht auf die Kartenpreise angespielt werden soll) Amüsierbetrieb mit hin und wieder zeitkritischer Färbung geworden ist.

In Österreich gibt es genügend Stoff für ein neueröffnetes Kabarett, aber nicht für die, die seit Jahren spielen. Alles, was heute bei uns interessiert, wurde schon vor Jahren geschrieben”, meint resigniert Gerhard Bronner, der einen Ausweg aus der Kabarettmisere darin sieht, daß man sich Themen aus dem Ausland holt. In seinem neuesten Programm stößt Bronner sogar die „ungefährliche Drohung”: „Nie wieder Kabarett!” aus. Und es hätte gar nicht der für einen Kabarettisten sehr wehleidigen und trotzigen „Kritik an unseren Kritikern” im Programmheft bedurft, denn Wiens Kritik sagte „Ja!” zum neuen geglückten Programm. Tatsächlich liegt jeder der siebzehn Nummern, die in den meisten Fällen sogar mit überraschenden Pointen enden, eine ganz ausgezeichnete Idee zugrunde.

Aufwärts scheint es auch mit dem „Würfel”-Team zu gehen. Sein neues Programm „Arsen und Spitzelhäubchen” ist natürlich auch nicht rein politisches Kabarett, wie es uns versprochen wurde („Österreichs Politik bietet nur Angriffsflächen!” — Kuno Knöbl), aber zumindest nach der Pause, die den äußerst schwachen ersten Teil abschließt, gibt es im Keller in der Himmelpfortgasse echte, großartige Kleinkunst, wie man sie sich besser nicht wünschen könnte.

Damit können Wiens Kleinkunstliebhaber getrost in die Zukunft blicken, für die Gerhard Bronner „neue Experimente”, Karl Farkas „blendende Unterhaltung” und Kuno Knöbl „noch mehr Aggression” versprechen. Die neuen Premieren der Wiener Kabaretts jedenfalls haben bewiesen, daß die Thematik für die Kleinkunst im Schatten der drohenden Atombombe, keineswegs erschöpft ist. Der Hofnarr tanzt weiter!

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