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Kabarett und Charakter

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„Abziehbilder. Ein österreichisches Wunschtraumbüchl in 18 Kapiteln für sich r von Ernst Hagen, Gottfried Heindl, Ru- “dolf Spitz und Hans Weigel. Musik: Karl Wimmer.“ Das Eröffnungsstück des „Kleinen Hauses in der Liliengas s e“, das sich nunmehr selbständig machte, nachdem es in den letzten Jahren als „Studio", als „kleines Haus der Josefstadt“, sich immer deutlicher von den literarischen Ambitionen und von der Tradition des Stammhauses distanziert hatte. Der inneren Wandlung hat nun also auch die äußere Form Rechnung getragen, die Konstitution als ein Haus der leichten Muse, dem Pendelverkehr zwischen Schwank und Revue, Sketch und Kabarett und Komödie mit leisem Unterton zugewandt. In diesem Sinne erkämpft das Premierenstück einen Achtungserfolg. Die „mittleren Vier’i — die Autoren, im Unterschied zu den in ihrem „’I raumbüchl“ mehrfach angezogenen größeren Vier der Parteien, den Großen Vier der Besatzungsmächte und den „kleinen Vier“ eines benachbarten Kabaretts, haben sich emsig umgetan, um der österreichischen Zeitsituation Bilder abzugucken, die 6ich auf die Bühn stellen lassen: Situationskomik, nach innen, nach außen, und rundum gewandt. Und es ist etwas sehr österreichisches entstanden: eine Mischung von guten Vorsätzen, Ansätzen und Versprechungen, von Travestien und nachdenklichen Komödien en miniature, für die durchwegs Hans Weigel zeichnet — und von Platitüden, von vierjährigen Ladenhütern der billigsten Unterhaltungsbranche, die unbillig das sanfte Gemüt des Publikums auf die Probe stellen, weil sie noch dazu viel zu lang ausgewalzt werden. Dieser zwiespältige Eindruck wird auch nicht überwunden durch den spielfreudigen ambitionierten Einsatz des Ensembles, aus dem Ernst Waldbrunn und Gisa Wurm hervorragen. Nachdenklich verläßt der Besucher den Saal, es ist schon des Nachdenkens wert: so viel guter Wille, so viel Begabung, mindestens ein grundgesebeiter Kopf, ein Schock talentierter Mitarbeiter. Und das Ergebnis? Eine „Wiener“, eine österreichische Halbheit. Grund: weil es an Mut fehlt, auch an künstlerischem Charakter. Weil man es nicht wagt, einen Weg einzuschlagen, eine Linie zu halten — und durchzuhalten. Warum? Nicht einfach nur aus „Schlamperei“, sondern aus einer falschverstandenen „Gefälligkeit“, aus einer falschen „Humanität" und Liberalität, die niemandem „weh tun" möchte aus Rüdesicht auf hundert anderseitige Instanzen, wobei dann nur die eine notwendige Rücksicht vergessen wird: die auf den künstlerischen Charakter des Stücks. Ein Kabarett mit Charakter? Ist da9 nicht eine wahnwitzig unbillige Forderung: in einer Zeit, in einer Welt, in einem Raum der Charakterlosigkeit, in dem das Spiel schwankender Charaktere, von Phraseuren und Falschspielern Trumpf ist, verlangt ihr „Charakter“ vom kleinen Stück einer kleinen Bühne im Her-zen Wiens? Jawohl. Denn dieses kleine Spiel ist Abbild, Anzeiger und Vor-Bild des großen: des Spiels auf den Staats- Bühnen, auf der Bühne des Staats. Wem dies zu hoch ist: auch dieses kleine neue Theater wird sich gegenüber zahlreichen Vergnügungsbetrieben nur halten können, wenn es eine eigene Note erstellt, einen, einen Charakter findet. Was vice versa wieder für die große Bühne gilt

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