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Osterreichische Musikkultur?

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Das Wiener Musikleben beginnt sich langsam auf den Frieden umzustellen. Das geht nicht im Galopp, denn, wenn Poly-hymnia ihre lang geknebelte Kehle zu einem weihevollen Carmen öffnen will, kommt vorerst nur ein mühsamer, zögern- i der und seufzender Laut heraus. Wir finden es selbstverständlich, daß seit dern Kriegsende bisher noch kein neuer Beethoven oder Strauß aufgestanden ist; denn gut Ding muß eben Weile haben. Die heitere Muse hat es bedeutend leichter: sie sprudelt ihre Opera nur so hervor und man kann wohl sagen, daß die Produktion beider Musiksparten etwa im Verhältnis 1 : 50 vor sich geht — natürlich zugunsten der leichten Musik.

Wir staunen über die Macht der Töne, die das Gemüt d& Wiener durch den ephemeren Homunkulus des sogenannten Wienerliedes zu rühren vermögen. Wir gönnen den wackeren Zeitgenossen das Vergnügen, derzeit irrationale Werte, wie zum Beispiel Wein, Grinzing, Rausch, süßes Wiener Mädel usw., sich durch gefühlsselige, sanft einlullende Sirenentöne eines Wienerliedes in einer nebulosen, für lange Zeit entschwundenen Romantik vorgaukeln zu lassen. Trotzdem können wir uns einige Hinweise und Fragen zu diesem • Thema nicht versagen:

1. Gibt es unter den vielen Komponisten nicht einen, der imstande ist, eine neue Note in das Wienerlied zu tragen? Die beiden letzten Generationen konnten ihm noch — cum grano salis — ein eigenes Gepräge geben. Das heutige Wienerlied präsentiert sich als eine Symbiose von konservativen, traditionell gefärbten Drei-klangsfolgen, die durch Terzen und Sexten, durch die lokale Sixte ajoutee schmackhaft gemacht werden und aus mehr oder weniger scharf akzentuierten Jazzelementen,die der Mischung die nötige Würze geben. Aber ein „neues“ Wienerlied haben wir unter den Neuerscheinungen vergeblich gesucht.

2. Eine Spielart des verjazzten Wienerliedes ist das „internationale Chanson“, das derzeit stark im Schwange ist. In den „weanarischen“ Text werden englische, französische und russische Brocken eingestreut und damit den Alliierten eine Reverenz gemacht. Ist das nicht unwürdig? Wird das von aufrechten alliierten Soldaten nun als liebenswürdige Aufmerksamkeit oder als unangenehmer Byzantinismus empfunden?

3. Das Wienerlied mag die „Weana Gemüatlikeit“ und den „Weana Hamur“ weiterpflegen. Es ist jedoch nicht in Ordnung, wenn den Fremden weiterhin darin das Bild eines fossilen, unbelehrbaren Spießers entworfen wird, ja, wenn man sogar die Trümmer und das Elend unserer zerschlagenen Stadt mit musikalischen Krokodilstränen begießt. Die Zeit, denke ich, ist viel zu ernst, als daß wir zu derartigen Blasphemien lächeln könnten. Schon gar nicht, wenn es sich um unseren Stephansdom handelt, dessen grausige Trümmer in ärgerniserregender Weise zum Anlaß verlogener, sentimentaler Reimereien benützt werden. Hier ist stumme Ergriffenheit und ernste Entschlossenheit gewiß mehr am Platz.

4. Der Friedrich-Hofmeister-Figaro-Verlag bringt eine Reihe „W iener Lieder um Wiener Klassiker“ von Hans R a h n e r heraus. Es handelt sich um primitive lyrische Ergüsse, die an sich eine Kritik weder herausfordern noch nötig haben; wenn man aber dem Autor schon konzediert, daß er diese Lieder in der löblichen Absicht gedichtet und komponiert hat, um die Wiener Klassiker „populär“ zu machen, so muß man doch in einem Atemzug fragen, ob es keine andere Möglichkeit gibt, unsere Meister dem Volk näher zu bringen. Gäbe es keine andere als diese, so würde dies dem Eingeständnis einer musikalischen Pleite Österreichs gleichkommen. Gott sei Dank braucht weder unsere Jugend, noch das österreichische Volk eine Antwort auf die interessante Frage:

Will der Herr Mozart tanzen, mit Konstanzen, mit seinem kleinen Weibchen bloß ein Tänzchen tanzen? Jenes Menuett,

das er zum Hodizeitstagc komponiert für sie? Eine wundervolle, zärtlich liebestolle, süße Herzensmelodie.

Wir wollen auch keine Haarlocke vom „Schubert-Franzi“, die er „der Gräfin Eszterhäzy einst in Wien verehrte“, auch wenn sie unter Begleitung eines Moment musical, das hier auf ein musikalisches Prokrustesbett gespannt erscheint, abgeschnitten wird. (Wo sind die Zeiten, da Richard Strauß für den „Komponisten“ des Dreimäderlhauses — Zuchthausstrafe beantragte?) Die hermeneutische Erklärung der Sechsten Symphonie interessiert uns ebensowenig, auch wenn „neb'n Beethovengang ein Bacherl fließt“, und schließlich ist uns der „alte H a y d n“, der's „nicht leiden kann, daß man schießt“, doch eine zu ehrwürdige Gestalt, als daß man sie, -im Rahner-Ton in Musik gesetzt, genießen könnte.

Will man unsere Meister pflegen und ihnen einen großen Dienst erweisen, dann drucke man doch um Himmels willen wenigstens ihre Klaviersonaten nach, die in der heutigen Zeit sozusagen schon zu den musikbibliophilen Seltenheiten gehören, so daß sie von den armen Musikschülern im Schleichhandel erworben werden müssen. Man veranstalte Meisterausgaben etwa in der Form der Schottschen Einzelausgaben und unsere Klassiker werden uns mehr Dank wissen.

5. Ebenfalls im Figaro-Verlag veröffentlichen Josef P e t r a k und Heinz Sandauer ein „Wienerlied und Slowfox“ unter dem Titel „Der Franz von Asissi (!), mein Schutzpatron“. Man muß sich bei der Durchsicht dieses „Werkes“ fragen, ob der einst weltberühmte Geschmack der Wiener tatsächlich schon so weit gesunken ist, daß man ihm mit derartiger Kost aufzuwarten wagt. Der weinfrohe Liedersänger wird im Traum vom heiligen Franz ob seiner alkoholischen Neigungen verwarnt und wehrt sich dagegen, indem er dem heiligen Schutzpatron launig zuruft:

Hätt's zu deiner Zeit gegeben an Nußberger Wein und Maderln, so süß, wie bei uns, •

ui jegerl, wo war' dann dein Heiligenschein? Na gib 's doch zu — nur net scheinheilig sein!

worauf der Heilige es zugibt und kleinlaut

in klassischem Deutsch antwortet:

Also gut, wir sind quitt,

doch als guter, gelehriger, dankbarer Sohn.

bring, wannst 'raufkommst, paar Flascherln mit!

Spaß muß sein, ein Tropfen Wein ist gut, und ein Mucker ist ein öder Gesell. Aber jedes Ding hat auch seine Grenzen. Muß sich das österreichische Volk einen solchen Unsinn gefallen lassen? Gibt es denn keine bessere Verwendung für unser ohnehin so rares Papier? In Wien leben namhafte Symphoniker, die ihre angefangene Symphonie liegen lassen müssen, weil sie kein Notenpapier auftreiben können. Könnte man nicht das dringendst benötigte *und sehnlichst erwartete Notenpapier endlich herstellen und das Papier an oben gezeigten Beispielen einsparen?

Wir sind ein befreites, besetztes, beobachtetes Land. Ein bißchen mehr Würde, auch in diesen Dingen, würde gut tun.

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