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CabaretAlbuml930-1945

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Der Österreicher ist gewohnt, in einem Ohrigkeitss'taat zu leben. Manchmal ist es ein sehr ausgeprägter autoritärer Staat, manchmal ein in milden Formen sich gebärdender. Durch weite. Strecken der modernen Geschichte mußte der Österreicher ohne parlamentarische Institutionen leben, in weiteren Epochen spielte das Parlament sehr oft nur ein Scheindasein. So hatte er nie die Chance, eine echte parlamentarische Opposition zu erlernen oder

auch nur auszuüben, wie sie zum eisernen Bestandteil des britischen Parlamentarismus gehört. Seinen Unmut über bestehende oder vermeintliche Mißstände mußte er dann auf anderen Wegen kundtun. Dazu gehörten vor allen Dingen die verschiedenen großen und kleinen Sprechbühnen, die ein Tummelfeld versteckter Opposition waren. Die Nestroy-Stücke boten hier eine willkommene Gelegenheit, dem autoritären Metternich-Regime hie und da

eins auszuwischen. Schauspieler, die die Kunst des Extemporierens beherrschten und konkrete Situationen kritisieren konnten, hatten die Lacher auf ihrer Seite. Eine Kunst, die sich bis in unsere Tage fortsetzte. Merkwürdigerweise schritten die

mehr oder minder autoritären Regime, die Österreich beherrschten, sehr selten gegen diese Art der Opposition ein. Vielleicht waren sie sich bewußt, daß es ein politisches Leben ohne Opposition nicht gibt und dem Mißmut irgendwie ein Ventil geschaffen werden mußte.

Ein Beweis für diese Behauptung ist das große Werk „Wien bleibt Wien“, das soeben im Europa-Verlag in Wien, von Rudolf Weys herausgegeben, erscheint und eine Dokumentation über das politische Cabaret der Jahre 1930 bis 1945 darstellt. Dr. Rudolf Weys, geboren 1898 in Graz, von Beruf Jurist und Buchhändler, gehörte zu den Gründern des berühmten Cabarets „Literatur am Naschmarkt“, das zu Beginn der 30iger Jahre entstand. Es hatte bald einen unerhörten Erfolg. In Österreich entstand 1933 ein autoritäres Regime und einige Wochen vor dessen Geburt kam eine der krassesten Diktaturen der modernen Geschichte in Deutschland an die Macht, das Hitler-Regime. Grund genug, sowohl das autoritäre Regime in Österreich wie auch die Diktatur des Dritten Reiches von dieser Bühne aus der Kritik einer Opposition auszusetzen, die es in den Parlamenten nicht mehr geben konnte, da diese so gut wie nicht mehr existierten. Als das Dritte Reich über Österreich.hereinbrach, mußte natürlich alle Welt glauben, daß das Ende dieses Cabarets gekommen sei. Aber da geschah ein Wunder. Es konnte neu entstehen und unter dem Titel „Wiener Werkel“ ein blühendes Dasein führen und öffentlich eine Kritik am Dritten Reich sich erlauben, die anderwärts totsicher ins Konzentrationslager geführt hätte. Die heutige Zeit kann sich kaum vorstellen, welche Wohltat für die Besucher das Anhören solcher cabarettistischer Sketches war.

Geradezu mit Wehmut denkt man zurück, wenn man die einzelnen Stücke, die damals aufgeführt wurden, jetzt wieder in diesem Buch veröffentlicht sieht. Heute längst berühmte Schriftsteller hatten das Beste versucht, um diese literarische Opposition schaffen zu können. Neben Rudolf Weys, ist hier immer wieder Hans Weigel zu treffen, aber auch Harald Peter Gutherz, Kurt Prie, Fritz Eckhard, Franz ^aul usw. Wie befreiend war doch das Lachen in diesem kleinen Theater über Stücke, wie z. B. „Per aspera ad astra“ (der Besuch dreier Römer beim Wiener Heurigen) oder die Szene aus Bosnisch-Brod, d>e den ganzen Nationalitätenhader der alten Monarchie darstellte oder der Besuch auf dem großgriechischen Protektorat Kreta, wo der einheimische Führer dem Besucher erklärte, ihr Wahlspruch sei „ubi Benesch ibi pa-tria“. Oder die Unterhaltung eines Chinesen mit einem Japaner, wobei der Chinese den Namen Po-Ma-Li trug, so daß jeder sofort darunter den Österreicher erkannte, der sich mit einem Preußen-Japaner unterhielt. Die Besucher kamen eigentlich im-

mer fassungslos aus dem Theater heraus, beglückt über das Gesehene, erstaunt, daß die Gestapo hier noch nicht zugegriffen hatte. Als Goebbels 1944 alle Theater schloß, war dies auch die Todesstunde für das „Wiener Werkel“. ,

Die Herausgabe dieser .-esammel-ten Theaterstücke ist eine erstklassige Dokumentation, sowohl über

eine besondere Art der österreichischen Literatur wie über die besondere Art der österreichischen politischen Resistance.

Was diesen großen Band noch besonders ausgezeichnet, ist seine einmalig schöne Ausstattung, für die Georg Schmid verantwortlich zeichnet. Georg Schmid, geboren 1928, mit seiner Frau gemeinsam Mitglied der AGI (Alliance graphique internationale), ist heute einer der bedeutendsten österreichischen Graphiker, Bühnenkünstler und Bühneinausstat-ter. Die Ausstattung dieses Buches, die eine geniale Fortsetzung des Wiener Jugendstils darstellt, macht das Lesen des literarischen Inhaltes zu einem zusätzlichen Genuß, der das Spiel auf der Bühne geradezu ersetzbar macht. So kann nur allen Beteiligten für dieses Buch von österreichischer Seite gedankt werden.

WIEN BLEIBT WIEN — UND DAS GESCHIEHT IHM GANZ RECHT. Cabaret Album 1930—1945. Von Rudolf Weys. Illustrationen von Georg Schmid. Europa-Verlag, Wien. 288 Seiten.

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