7113155-1996_05_15.jpg
Digital In Arbeit

Broccoli vorm Weißen Haus

Werbung
Werbung
Werbung

Mein Beruf hat nichts mit Kunst und Kultur zu tun, sondern . mit Gauklern und Scharlatanen." Michael Niavarani, Leiter des „Simpl", verzichtet darauf, im Burgtheater zu spielen. „Wir wollen nichts als zum Lachen bringen. Vielleicht ist das in Europa so schwierig, weil wir dauernd auf unsere Kunst und Kultur hinweisen wollen." Und erst nach einigem Zögern stimmt er zu, daß Kabarett in seiner Kunstfertigkeit, in der handwerklichen Perfektion und gerade in seiner Geschwindigkeit, auch Kunst ist. „Das Tempo ist schneller geworden." Die schnell geschnittene Film- und Fernsehwelt hat auch das Tempo der Kabarettbühnen angetrieben.

Kabarett kann man nicht lernen, Schauspielerei schon. Ein komischer Dilettant und ein professioneller Kabarettist unterscheiden sich voneinander dadurch, daß letzterer seine Kabarett-Kunst wiederholen kann. Das

Wesen der Komik ist für den jungen Wiener Niavarani mit familiären Wurzeln bis nach Persien Zerstörung. „Metaphorisch gemeint, kann ich mich über eine seriöse Sache lustig machen, indem ich damit nicht umgehenkann- zum Beispiel ein Sketch über eine nicht funktionierende Rasterfahndung oder einen fehl gegangenen Lauschangriff. Parodie zerstört, indem sie übertreibt - auch wenn sie nicht bös gemeint ist. Eines der Systeme der Komik besteht darin, Sachen so zusammenzubringen, daß sie nicht mehr funktionieren. Viele Polizistengags basieren auf Zerstörung. Der Polizist, der eigentlich Gewalt ausüben und mit Intelligenz an die Arbeit gehen sollte, tut genau das Gegenteil. Jerry Lewis ist ein extremes Beispiel. Bei Stan Laurel und Oliver Hardy herrscht völlige Anarchie."

Was für einen Engländer Ironie ist, mag für den Deutschen eine tödliche Beleidigung sein. Ist die deutsche Sprache der Komik hinderlich? „Im deutschsprachigen Raum hat man

Probleme mit Komödie. Die Leute wollen hier immer ernsthaft und intellektuell sein. Das amerikanische Publikum nimmt Komik als das, was es ist. Das Simpl-Publikum weiß das auch, nur manche Kritiker vergessen das manchmal."

Kabarett ist nachgespieltes, übertriebenes, manchmal sogar abgeschwächtes Leben. „Das allzu Absurde glauben die Zuhörer nicht. Zum Beispiel die Geschichte vom amerikanischen Präsidenten Bonald Beagan, der einmal öffentlich bekannte, Broccoli nicht zu mögen. Daraufhin stellte ihm eine Tiefkühlfirma zwei Lastwagen voll Broccoli vors Weiße Haus und bat ihn, seine Aussagen zu revidieren. Niemand würde mehr Broccoli essen, wenn der amerikanische Präsident sich diesen verweigerte."

Woher die Eingebungen des Kabarettisten und seiner Moderatoren kommen, bleibt ungesagt. „Wie man Kindern nicht verraten darf, daß sie nicht vom Storch kommen, so darf auch ein Komiker nicht verraten, woher er seine Eingebungen hat." Die Utensilien des Spaßes haben sich verbraucht. Was einst ein kariertes Sakko war, kann jetzt ein dunkler Anzug sein. Das Gewöhnliche ist lustig geworden.

„Es gibt nicht das große Thema, womit ich die Leute belehren will. Wenn ein Kabarettist belehren will, ist das schon falsch. Ich will keine Inhalte vermitteln und habe keinen Drang, etwas zu sagen."

Niavarani sieht die nahende Wende in seinem Männerjob. Der Simpl-Chef selbst zählt großartige Frauendarstellerinnen zu seinem Ensemble, die Berliner „Distel" wird von einer Frau geleitet, es gibt hinreißende Frauen-Kabaretts wie die „Missfits". „Ich glaube, daß in den kommenden zwanzig, dreißig Jahren das Publikum sehr auf die Komik der Frauen abfahren wird."

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung