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Kabarettistisches

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Frank Wedekinds „Büchse der Pan-dora“ im Volkstheater. Bevor der erste Weltkrieg die mitteleuropäische Gesellschaft, die ihm zutaumelte, verschlang, fanden die Explosionen im Saale statt: in einigen Kabaretts in München und Berlin in der „Fackel“ des Karl Kraus und in einigen Hirnen, die eben wahrnahmen, was zu sehen war. In Beethovens Sterbehaus in Wien erschoß sich Wei-ninger, nachdem er die alles zerstörende Übermacht des „Weibes“ erfahren hatte. Wedekind erschoß sich nicht, sondern brachte in .München auf die Bühne, was ihn und Zeitgenossen verstörte: den ersten Aufbruch des „Sex“ in einer Gesellschaft, die rasch und laut zerfiel, von „Werten“ sprechend, scheinbar hilflos ausgeliefert ihren Trieben. Diese innerste Schicht der Wedekindschen Welt ist heute noch sehr aktuell; was sich über sie lagert, ist verstaubt. Neuaufführungen Wedekindscher Dramen hinterlassen deshalb zumindest zwiespältige Eindrücke. Es ist erstaunlich, was diese Mankersche Inszenierung im Volkstheater unter diesen Umständen dennoch zu geben vermag, wobei nicht zuletzt das reiche, vielfarbige Potential des Volkstheaters so einmal recht zur Geltung kommen kann. Ganz „kleine“ Rollen sind bestens besetzt, werden mit Hingabe gespielt. Rüdgers, Blaha, Rupp, Weicker, Willner, Fuchs, Langheim brillieren in solchen Rollen, in größeren Ernst Meister, Egon Jordan, Otto Wögerer. Bei den Damen sind mindestens Paola Loew, Elisabeth Epp, Susanne Engelhardt zu nennen. Die Lulu ist Elfriede Irrall anvertraut, die zuletzt mehrfach im Kleinen Haus der Josefstadt im Konzerthaus gezeigt hat, was in ihr steckt: eine sehr itarke Begabung.

Kabarettistisch veranlagt, wie Wedekinds Bühnenwerk, ist in besonderem Maße ein Spielchen im Kleinen Haus der Josefstadt, „Die Polizei“ von Slawomir Mrozek. Dieser Pole ist als Journalist, Kritiker, Herausgeber einer Zeitschrift, Architekt und nun eben auch Bühnenautor im heutigen Polen tätig. Es gibt noch keine Geschichte der an Jahren meist jungen Intellektuellen, Dichter, Autoren und Kritiker, die in den Jahren zwischen 1918 und 1956 zunächst, also bis zur Erhebung in Ungarn und zum „polnischen Tauwetter“ im stalinischen Rußland, dann auch in anderen Oststaaten verbannt und verbrannt wurden, die durch Selbstmord endeten oder „einfach“ verschollen sind. Heute befaßt man sich im Westen endlich mit einigen von ihnen, wie Isaak Babel und Majakowski. Klugheit, eine eigentümlich polnische Humanität, eine gewisse Rücksichtnahme von „oben“ her haben es einigen Polen erlaubt, in Satire, Gedicht und kritischem Wort die großen, schrecklichen Tabus des totalitären Staates zumindest zu berühren: Männer wie Lee, Hlasko und eben hier Mrozek. In einem Sketch stellt dieser die politische Polizei, das Denunziationswesen, die administrative Praxis der Diktatur von heute zur Diskussion. Amüsant, zumindest am Anfang, wird gezeigt, wie der riesige Polizeiapparat in Verwirrung kommt, weil der letzte politische Gefangene fest entschlossen sich als konformistischer Mitmacher zu entpuppen beginnt. Mrozek kann die Groteske, die ja aus vielen Gründen nicht zur Tragödie sich ausfalten darf, nicht recht durchhalten, und so verendet das Spiel etwas lustlos. Otto Schenk als entschlossener Überläufer zum „System“, Bruno Dallansky als Apparatschik, in dem dann in der Haft eine kritische Individualität erwacht, Karl Fochler als Polizeichef und Bibiana Zeller als seine regimegläubige Gattin gestalten das Spiel als heitere Posse. Kaum sichtbar mehr wird der riesige blutige Hintergrund.

„Hackl vorm Kreuz“, im Neuen Theater am Kärntnertor, heißt die neue Kabarettrevue Helmut Qualtingers. Sie steht ganz in seinem Zeichen. Qualtinger ist ein Volksschauspieler, ein genialischer Kerl, der, wie ein Kobold, ein Alp, ein Dämon, in den Leib eines anderen schlüpft, ihn besessen macht. Vor nicht langer Zeit erhielten Teilnehmer an Perchtenläufen, so sie dabei ums Leben kamen, kein kirchliches Begräbnis. Man nahm an, daß der Mann von der Maske seiner Rolle voll und ganz besessen sei, mit Leib und Seel'. Solche Besessenheit, durch eine „Rolle“, eine Gestalt, braucht Qualtinger. Die „Rollen“ dieser Revue sind jedoch zu zahm, zu berechnet, um ihn zu voller Entfaltung in der Verwandlung kommen zu lassen. Sehr anständig wird da versucht, einen Querschnitt durch die politische, mentale, gesellschaftliche Sphäre unserer heutigen österreichischen Verhältnisse zu geben. Da es hierzulande aber an politischem Eros fehlt, gelingt nicht, wie seinerzeit etwa in Berlin oder München, ein geistreiches politisches Kabarett. Da ferner hierzulande nur die allerbescheidensten Ansprüche an Bildung und Wissen des Publikums gemacht werden dürfen, soll das nötige Mindestmaß von Verständnis erreicht werden, fehlt das Salz, der Witz, der Geist einfordert. In Anbetracht unserer makabren Verhältnisse in dieser Hinsicht verdient das Unternehmen Merz-Qualtinger dankbare Anerkennung.

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