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Trost für Menschen ohne Zukunftsaussichten

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Fast genau zum zehnjährigen Jubiläum von „Lotto 6 aus 45" wurde für einen Teilnehmer der Traum aller Lotto-Spieler Wirklichkeit: Er gewann 60,2 Millionen Schilling, den höchsten Gewinn in der Geschichte des Spieles. Was der „Herr mit der vernünftigen Stimme", als der er durch alle Medien geisterte, mit seinem Vermögen anstellen wird, ist der Öffentlichkeit nicht bekannt. Es bleibt zu hoffen, daß es ihm nicht so ergeht, wie jenem Mann aus Graz, der mit seinem Spitznamen „Borsalino" zu lokaler Berühmtheit gelangte: Nach einem Lottogewinn von sechs Millionen parkte fortan ein protziger Jeep vor seinem Haus, im Feinkost-Cafe um die Ecke trank er - nobel -sein kleines Bier nur noch mit Cognac, und nächtens hielt sieh der begeisterte Schnauzbartträger bevorzugt im Rotlicht-Milieu auf. Binnen eines halben Jahres hatte er das gesamte Geld verjubelt.

Im vergangenen Jahr kreuzten genau 100 $pielteilnehmer die sechs richtigen Zahlen auf ihrem Lottoschein an und durften sich über Millionengewinne freuen. Insgesamt wurden mehr als 19 Millionen Einzelgewinne mit einer Gesamtgewinn -summe von mehr als 2,9 Milliarden Schilling ausbezahlt. 755 Millionen Tips blieben ohne Gewinn. Österreich im Lotto-Fieber: Jede Woche spielen 58 Prozent der Bevölkerung Lotto und bescherten 1995 den Österreichischen Lotterien einen Jahresumsatz von mehr als 6,3 Milliarden Schilling.

Neben dem Lotteriebetreiber gibt es einen, der ebenfalls immer gewinnt: den Finanzminister. DieÖsterreichischen Lotterien führten im Vorjahr fast fünf Milliarden Schilling Steuern an den Fiskus ab, der Löwenanteil davon geht auf „6 aus 45" zurück. Seit 1986 hat das Finanzamt rund 31 Milliarden Schilling an Steuern vom Lottobetreiber einkassiert, der auch für Toto, Zahlenlotto, Klassenlotterie und diverse Rubbellot-terien verantwortlich zeichnet.

„Menschen mit wenig Perspektiven können von einer besseren Zukunft träumen und sich dementsprechenden Phantasien hingeben", deutet die Psychologin und Psychotherapeutin Iza-bella I lorodecki vom Verein „Anonyme Spieler" in Wien die Motivation, Lotto zu spielen. Lotto vermittle Hoffnung und diene zugleich als „soziales Ventil": „Damit hat dieses Spiel leider eine Aufgabe übenommen, die früher die Religion erfüllte", bedauert Horo-decki. Doch wer zuviel träumt, versäumt die Gegenwart: Jene Aktivitäten, mit denen man sein Leben in die eigenen Hände nimmt, würden dadurch gehemmt, warnt die Psychologin. „Zu uns kommen vergleichsweise wenig Lottosüchtige", sagt Horodecki, die krankhafte Spieler therapiert und deren Angehörige berät. Daß sich krankhaftes Lottospielen. in Grenzen hält, liegt ihrer Meinung nach am Zeitabstand zwischen Einsatz und Gewinn, beziehungsweise Verlust und neuerlichem Einsatz. Wer allerdings einmal einen saftigen Gewinn beim Lotto eingestreift hat, läuft Gefahr, nicht mehr aufhören zu können: Horodecki sind „zwei oder drei" derartige Fälle bekannt. „Der Mensch neigt dazu, positive Erfahrungen zu wiederholen", schließt die Psychologin.

Beratungsstelle Therapiezentrum für Spieler, Spielerinnen und Angehörige

Siebenbrunnengasse 21 j5,1050 Wien Tel: 54413 57

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