6739940-1966_37_13.jpg
Digital In Arbeit

Anatomie des Grauens

Werbung
Werbung
Werbung

Hunderte von Kilometern Filmmaterial erbeuteten seinerzeit die Alliierten bei der Eroberung der ehemaligen Reichshauptstadt Berlin. Es waren die Aufnahmen der Kriegsberichter, die in ganz Deutschland und in dem riesigen besetzten Gebiet gedreht wurden. Bekanntlich wurde seitens des NS-Propa- gandaministeriums jeder Dokumentarfilm sorgfältig ausgewählt und nur jene Bilder veröffentlicht, die der psychologischen Kriegsführung Clienten. Ungeheure Mengen Filmmaterial blieb der Öffentlichkeit vorenthalten und ein großer Teil fiel den Russen in die Hände. Der Regisseur Michail Romm unternahm nun den Versuch, aus diesem Bildmaterial ein ungeschminktes Bild des Faschismus zusammenzustellen. Es sollte aber nicht nur ein Dokumentarfilm über das Wüten des Faschismus, sondern vielmehr eine Analyse des Wesens und der Methodik dieser Barbarei werden. „Der gewöhnliche Faschismus“ schildert die gefährliche Manipulierbarkeit einer Volksseele, die Anfälligkeit gegenüber einer raffinierten Propaganda, die keine Skrupel kennt und die Verführbarkeit des Menschen mit einer geradezu dämonischen Perfektion ausnutzt. Eugen Kogon, der zu diesem Dokumentarfilm die Einleitung spricht, weitet diese Sicht auf eine allgemeinere Ebene aus, denn jedem Besucher drängen sich unheimliche Parallelen auch mit anderen Erscheinungen auf, gerade in jenen Ländern, die sich als Kämpfer gegen den Faschismus aus- gaben. Mag auch manches in diesem Streifen nicht mehr ganz objektiv anmuten, insgesamt ist es doch ein bemühter Versuch, das Wesen des Faschismus zu deuten und vor neo- faschistischen Erscheinungsformen jeder Spielart zu warnen, die letztlich immer zu Terror und zur Vergewaltigung von Menschen und Völkern führen.

Italiens eigenwilligster Regisseur, Federico Fellini, gibt in seinem neuen Farbfilm „Julia und die Geister“ wiederum Einblick in jene unbekannten seelischen Dimensionen, in denen sich die eigentlichen Entscheidungen vorbereiten und vollziehen, die unser Leben bestimmen und formen. Die Handlung selbst ist denkbar einfach: Eine Frau erkennt nach fünfzehnjähriger Ehe, daß ihr Mann sie mit einer jüngeren Frau betrügt. Nach schweren seelischen Kämpfen gelingt es der Frau, sich von der Bindung an ihren Mann zu lösen, um zu einem eigenen Leben zu finden. Fellini schildert nun jenes seelische Ringen, jene Geister, die aufstehen und mit dieser Frau ringen, um schließlich überwunden zu werden, mit einer geradezu atemraubenden Dramatik, unterstützt von einer hinreißenden Kamera und prachtvollen Schauspielern, allen voran seine eigene Gattin Guilietta Massina, doch werden an den Zuschauer auch beachtliche Anforderungen gestellt. Es ist nicht einfach und jedermanns Sache, sich in jenen ungeahnten Erlebnisschichten einer fremden Seele zurechtzufinden, doch wer Fellini willig zu folgen bereit ist, wird von der hart zupackenden Ehrlichkeit einer genialen Künstlerpersönlichkeit fasziniert sein.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung