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Hindemiths langes Weihnachtsmahl

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Thomton Wilder Textbearbeitung seines gleichnamigen Stückes ist nur in der Hinsicht ein Opernlibretto, daß es der Ergänzung durch die Musik bedarf. Der Zuschauer erlebt 90 Weihnachtsmähler der Familie Bayard im mittleren Westen Amerikas zwischen den Jahren 1840 und 1930, zusammengefaßt in einer einzigen Stunde, in der Schauplatz (Zimmer und Mobiliar) des Geschehens gleichbleiben. Gleich bleibt auch die Zeremonie des Truthahnessens, nur die Personen wechseln, da sie dem Gesetz von Leben und Tod unterworfen sind: durch die linke — weiße — Tür werden die Neugeborenen hereingetragen, durch die rechte — schwarze — treten sie wenig später gealtert ab. — Untereinander wenig profiliert, reden alle das gleiche in immer gleichen Formeln und Redewendungen. „Wir reden vom Wetter, wir reden vom Schnee, von hellen Tagen oder trüber Zeit, vom Wachsen der Kinder, von ihrer Lust, ihrem Weh. Ein kleines Stück Truthahn, ein bißchen Püree. .“ und so fort. Gewiß, man mag darin andeutungsweise Ironie und Trivialität am Allzumenschlichen sehen. Aber sind fragmentarisch angedeutete Gefühle dieser Art ein Sujet für die Opernbühne? Paul Hindemiths Musik und die Aufführung in Mannheim blieben die Antwort schuldig.

Dem musikalischen Ablauf zu folgen verursacht keinerlei Schwierigkeiten, sofern man sich einmal in Hindemiths Verfahren eingehört hat. Wirksam disponierte Ensemblesätze verschiedener Besetzungen sind in ein fortlaufendes Arioso eingebettet, wobei den Siogstimmen breiter sangbarer Raum im instrumentalen Gefüge zugeordnet ist. — Leider, und das ist für uns der entscheidende Mangel, verzichtet der Komponist weitgehend auf Charakterisierung der einzelnen Personen mit, wie es zumindest andeutungsweise Wilder im Textbuch getan hat, musikalischen Mitteln. Gleich hier haben wir auch den Ansatzpunkt zur Kritik an den Ausführenden. Rein äußerlich wurde bisweilen vom Regisseur Heinz S c h o 1 e r der Versuch unternommen, zu charakterisieren und zu differenzieren; allerdings nur durch auf-wendig-störendes Gehabe in den einzelnen Auftritten und sinnlos hinzugezogenen Requisiten, etwa eines schwarzen Tuches zum Zeichen des Alterns. — So blieb ein zwiespältiger Eindruck, verstärkt durch Paul Walters Bühnenbild und Gerda Schuhes Kostüme von allzu vordergründiger kleinbürgerlicher Milieuechtheit und Hindemiths musikalischer Leitung von allzu kühl-sachlichem Understatement.

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