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Zitat um Goethes „Faust“

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Wenn große Politiker, sogar Vizekanzler, ihre Gedanken und Erinnerungen durch Goethes „Faust“ wandern lassen, so kann man daran seine Freude haben. Daß die Politik solchen vielbeschäftigten Männern Rast und Raum gönnt für Poesie, ist tröstlich. So möchte man es auch begrüßen, in einem umfangreichen juristisch-dürren Artikel des Septemberheftes der sozialistischen Monatsschrift den österreichischen Vizekanzler Dr. Schärf aus Rechtsgeschichte und Rechtsinterpretation auf die bunten Wiesen der dramatischen Muse hinüberwechseln zu sehen. Leider hat dieser Exkurs sein besonderes Schicksal. Vizekanzler Dr. Schärf zitiert aus „Faust“, erster Teil, das berühmte Gespräch des Mephistopheles mit Dr. Faust und läßt den satanischen Versucher sagen: .Die Kirche hat einen guten Magen, Die Kirch' allein kann ungerechtes Gut vertragen.“ Das Zitat des Herrn Vizekanzlers ist. ein gelinder Rufmord an Goethe geworden. So holprige Verse hat er wirklich nicht gedichtet. Nun freilich, Dr. Schärf hat mit seinem Zitat eine Anleihe beim alten Wien er Burgtheater gemacht, in dem man als Uberlieferung aus der liberalen Zeit der Burgtheaterdirektionen für jene Stelle aus dem „Faust“ die Version gebrauchte: .Die Kirche hat einen guten Magen, Sie kann viel ungerechtes Gut vertragen.'

Das war zwar auch nicht echter Goethe, aber in dieser Umdichtung stimmte wenigstens das Vermaß. Der klassische Text aus dem „Faust“ lautet bekanntlich: .Die Kirche hat einen guten Magen, Hat ganze Länder aufgefressen. Und doch noch nie ich übergessen. Die Kirch' allein, meine lieben Frauen, Kann ungerechtes Gut verdauen!“ Dieses Wort läßt Goethe den Mephisto sprechen, den teuflischen Herrn, der durch die Welt als Versucher geht, die Menschen beschwatzt und unversehens alt der alte Widersacher Gift gegen die Kirche spritzt. Ihm erwidert sogleich Dr. Faust: .Das ist ein allgemeiner Brauch, Ein Jud' und König kann es auch!

Das alte Burgtheater pflegte diese Worte des Faust zu streichen und Herr Schärf verholpert zuerst das Mephisto-Zitat und läßt dann gleichfalls das sinngemäße Zugehör unter den Tisch fallen. Hat er gefürchtet, daß heute, da es in unserer Umgebung keine gekrönten Könige mehr gibt, das Faust-Wort auf die Sitten und Gebräuche zeitweiliger ungekrönter Herrschaften in unseren Bereichen gedeutet werden könnte? In diesem Falle wäre eine Vorsicht nicht ganz unbegreiflich.

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