Kalter Krieg im Internet

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Propagandaschlachten und Zensur im Web - und wie man sich dagegen zur Wehr setzt.

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Propagandaschlachten und Zensur im Web - und wie man sich dagegen zur Wehr setzt.

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Ein regelrechter kalter Krieg tobt im Internet. Es ist keine Ost-West-Auseinandersetzung im "klassischen" Sinne. Religion und Politik sowie Machtanspruch jedoch sind der Anlass, und deshalb sind so unterschiedliche Staaten wie Saudi-Arabien und China entscheidend beteiligt. Der eine Staat unterbindet mit rigorosen technischen Mitteln einer Millionen-Bevölkerung den Zugang zu bestimmten Webseiten, wogegen in den USA neuerdings eine Reihe innovativer Softwares entwickelt worden ist - der andere okkupiert rücksichtslos die Domänen von Gegnern oder vermeintlichen Todfeinden.

So haben chinesische Hacker in jüngst mehrfach auf Webseiten der US-Regierung prochinesische Propaganda plaziert. Auf der Webseite des US-Arbeitsministeriums fand sich plötzlich ein Nachruf auf den chinesischen Piloten, der im Südchinesischen Meer mit dem US-Spionageflugzeug zusammengestoßen war. Und die gesamte Eröffnungsseite des amerikanischen Gesundheitsdienstes zierte auf einmal ein Soldat in rotchinesischer Uniform. Das alles geschah, so heißt es in Washington, zumindest mit Billigung der Regierung in Peking.

Die Handlungsweise Pekings, das offensichtlich über mehr Internet-Expertise verfügt als allgemein angenommen wird, ist keineswegs neu: Während der taiwanesischen Präsidentschaftswahlen 1996 und 2000 versuchte Peking Einfluss zu nehmen, indem es nicht nur Webseiten der Inselregierung störte oder mit eigenen Texten versah. Die Wahlpropaganda Pekings erfolgte auch via E-Mail und mittels eigener Webseiten, die - sehr geschickt - oft als Links normaler kommerzieller Seiten installiert worden waren. Taiwans Proteste fruchteten zunächst nichts. Erst als es damit drohte, 7.000 Viren gegen Pekinger Regierungsseiten "loszulassen", stellte Peking die Propaganda im Internet ein.

Die auf Medien spezialisierte Menschenrechtsorganisation "Reporter ohne Grenzen" schätzt, dass wenigstens 20 Länder Kontrolle und Zensur darüber ausüben, was ihre Bevölkerung im Internet sehen darf. So werden seitens vieler dieser Staaten auch E-Mail-Adressen überwacht. Mehr noch: Vielfach werden alle E-Mails von Zentralservern "abgefangen", gespeichert und kontrolliert. Das trifft beispielsweise für Singapur und die Vereinigten Arabischen Emirate zu. Da viele dieser Staaten auch ein Telefonmonopol haben, können Interessierte auch nicht über die Wahl eines Internet-Providers in einem anderen Land Web-Zugang finden.

Der US-Sender CNN ist beispielsweise in China absolut verboten. Saudi-Arabien blockiert nicht nur sämtliche pornografischen Webseiten, sondern auch solche, die dem Land, dem Islam oder der königlichen Familie gegenüber kritisch eingestellt sind. Dabei ist der öffentliche Internet-Zugang in Saudi-Arabien seit 1999 theoretisch erlaubt die staatliche Zensur jedoch geht weiter, als man glaubt: Selbst Medizinstudenten dürfen eine Webseite mit menschlicher Anatomie nicht sehen.

Um solchen Restriktionen zu begegnen, haben findige US-Cyberwissenschaftler Softwares und Webseiten geschaffen, mit denen die Zensur umgangen werden kann. So etwas spricht sich schnell herum, sodass beispielsweise www.safeweb.com in China und arabischen Ländern riesigen Zulauf hatte. Safeweb, in Kalifornien angesiedelt, brachte es fertig, die Identität jedes Surfers, der die entsprechende Software kostenlos heruntergeladen hatte, zu verschleiern. Damit wurde gleichzeitig dafür gesorgt, dass jede, aber auch wirklich jede Webseite zugänglich war - auch pornografische! Safeweb verzeichnete nahezu 70.000 Besuche täglich. Dann bekam die saudische Regierung Wind davon und schloss nunmehr ihrerseits Safeweb aus. Die Zahl der Einschaltungen fiel beinahe auf Null.

Aber das ist nicht das Ende: Safeweb hat seitdem Internet-Adresse und Software-Inhalte mehrfach gewechselt und das dann früheren "Einschaltern" per E-Mail mitgeteilt. Damit stehen wenigstens zeitweise wieder alle Webseiten zur Verfügung. Im Grunde genommen sind Safeweb und vergleichbare Systeme so etwas wie ein "Geheimsender", der entdeckt und dann gestört wird, der aber einfach Standort und Frequenz ändert - und weitersendet.

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