Ensemble
Die Darsteller sind leicht als das spielerische Alter Ego von Winkler zu identifizieren. Rechts: Tino Hillebrand und Branko Samarovski. Links: Marcus Kiepe.
Wenn ein Theater ein Stück in Auftrag gibt, so birgt das aufgrund des Unvorhersehbaren immer einige Risiken. Wenn ein solcher Stückauftrag aber an den 1953 im Kärntnerischen Weiler Kamering bei Paternion geborenen Josef Winkler geht, mindert sich das Unberechenbare, auch wenn die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass er kein Stück schreiben würde. Das ist allerdings im Zeitalter postdramatischer Textflächen längst kein Grund zur Beunruhigung mehr.
Seit seinem furiosen literarischen Debütroman 1979, "Menschenkind", ist Winklers Dichtung formal wie thematisch eng fokussiert, kreist sie doch stets um die zum eigentlichen "Lebensthema" gewordenen bäuerliche Herkunft, dem ländlichen Brauchtum und den katholischen Ritualen.
Das Epizentrum seiner autobiografischen Auseinandersetzung, für die er stets die Gattungsbezeichnung Roman wählt, bildet dabei der Vater. Um ihn, den mehr gehassten als geliebten "Ackermann aus Kärnten" (1980), der den kleinen Josef als einziges von sechs Geschwistern nie auf den Schoß nehmen mochte, kreist sein obsessives Schreiben. Dabei ist aber das Autobiografische, so beklemmend und bestürzend es anmutet, derart kunstvoll in Sprache übersetzt, dass der Vorwurf, es handle sich dabei um reine Bekenntnisliteratur, aber gar nicht erst aufkommen kann.
Und weil für Winkler, wie kaum für einen anderen Schriftsteller gilt, was Undine Gruenter einmal schrieb, wonach "die Familie uns allen wie eine Kugel im Kopf steckt", hat er im Auftrag des Burgtheaters der augenscheinlichen Dringlichkeit seiner Lebensgeschichte ein weiteres Kapitel hinzugefügt. Und natürlich hat er kein Theaterstück geschrieben. In dem im Frühling 2018 bei Suhrkamp erscheinenden "Lass dich heimgeigen, Vater oder Den Tod ins Herz mir schreibe" steigt er ein weiteres Mal in die dunklen Zonen seiner Kindheit hinab, um sprachmächtig die Damönen seiner Vergangenheit erstehen zu lassen: den gehassten wie geliebten Vater, die Gewalt, die Verstrickungen und das Verschweigen der Familie und des Dorfes in Nazismus, Katholizismus, Homophobie.
Mit der Uraufführung im Burgtheater-Kasino wurde die katalanische Regisseurin Alia Luque beauftragt, die im letzten Jahr an demselbem Ort schon die Uraufführung von Miroslava Svolikovas preisgekröntem Stück "die hockenden" besorgt hat. Wer diese Inszenierung gesehen hat, dem kam nun vieles daraus (allzu) bekannt vor.
Luque wählt eine sehr reduzierte und strenge Form, was während der gut zwei Stunden beanspruchenden Aufführung zu Längen einerseits führt und mehr Fragen als Einsichten schafft.
Beliebig und zufällig
Luque wählt auch diesmal eine sehr reduzierte und strenge Form, was während der gut zwei Stunden beanspruchenden Aufführung einerseits zu Längen führt und andererseits mehr Fragen als Einsichten schafft.
Sie teilt Winklers monologischen Text, der sich durch die häufig wiederholte Anrede - "Lieber Vater! Böser Vater! Warum hast du geschwiegen ..., nicht gesagt, auf welchem Boden wir stehen ..., mir ins Gesicht geschlagen ...", usw. - wie ein Brief anhört, auf fünf Darsteller auf, wobei sie ihn nicht nur stark kürzt, sondern auch beträchtliche Umstellungen vornimmt. Das ist zwar nicht weiter schlimm, weil eine "Handlung" nicht existiert, es gibt aber ein beredtes Zeugnis davon ab, wie beliebig und zufällig ihr Umgang mit Winklers obsessiver Suada ist.
Die Darsteller sind leicht als spielerische Alter Egos des Autors in unterschiedlichen Lebensaltern zu identifizieren. Dem Knaben, dem Handelsschüler, dem Jungschriftsteller, etc. ordnet Luque Motive aus Winklers Text zu: Die Geschichte um den Judenmörder Odilo Globocnik, ("Zwei Millionen ham' ma erledigt") beispielsweise, der nach seinem Freitod auf dem "Sautratten", wo das Dorf Getreide anbaut, verscharrt wurde oder die um den Nürnberger Nazi-Onkel. Abwechselnd meinen die Schauspieler über die Bühne wandeln zu müssen, einmal eher deklamierend oder auch auf befremdliche Art "spielend". Dabei interagieren sie kaum miteinander.
Verstärkt wird das noch dadurch, dass Luque, wie um die Sprachwirkung Winklers nicht zu beeinträchtigen, den Figuren sehr reduzierte und sich stetig wiederholende Gesten und Wege verordnet hat. Mehr aber, als dass sich in dieser Idee der sich wiederholenden Gesten das repetitive der Winkler'schen Sätze verdoppelt, ist nicht gewonnen. Die Reibung zwischen den Gesten und den Worten will nicht zünden, zu beliebig, zu unbestimmt, zu wenig treffend erscheinen sie. Ebenso wenig aussagekräftig ist Luques Einfall, die ganze Litanei Winklers durch mehrheitlich französische Chansons aus den 50er-und 60er-Jahren zu konterkarieren, die unablässig aus einem einsam im Raum stehenden Fernsehkasten trällern. So verloren die Darsteller im weiten Raum des Kasinos wirken, als wüssten sie nichts voneinander, so wirkt dieser Abend insgesamt so, als wüsste die Regisseurin nichts von Winklers Not.
Lass dich heimgeigen Burgtheater, 15., 16., 18. Dezember