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Bulgakows erster Roman

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Nach der verdienten Beachtung, die Bulgakows wichtigste Romane beim deutschsprachigen Publikum fanden, erschienen nach und nach auch die Erzählungen und die früheren Werke. Im Rückgriff Ist die deutsche Edition nun bei dem ersten Roman des Autors angelangt, der In den Jahren 1923 und 1924 entstand. Die Tatsache, daß es sich diesmal um eine Lizenzausgabe des Volk-und-Welt-Verlages, Ost-Berlin, handelt, kann als Hinweis auf ein kaum systemkritisches Werk gelten. Der frühe Bulgakow hat noch nicht die Kraft des späteren Symbolisten. Die Geschichte der Famüie Turbin im Kiew des Jahres 1918 gleicht auf weiten Strecken einem bürgerlichen Idyll voll verhaltener tschechowscher Töne. Der Roman trägt rührende autobiographische Züge und bekennt sich zu einer ungebrochenen Familientradition des „alten“ Rußlands. Die politische und militärische Realität, die In dieses Milieu einbricht, ist noch ohne Folge für den Stil. Der Leser lernt in diesem Roman begreifen, wie schwierig es für die bürgerlich und intellektuell gehobenen Stände Rußlands damals gewesen sein muß, die neue Wirklichkeit überhaupt zu erfassen. Zarenthron und Ikonostas prägen das ganze Autoritätsgefüge und eine Erziehung in heilen Ehr- und Treubegriffen. Jegliche Veränderung ist nur vorstellbar als Restauration. Die Idee einer produktiven Auseinandersetzung mit den revolutionären Gedanken kommt diesen jungen Leuten gar nicht.

Michail Bulgakow verrät mit diesem seinem ersten Roman seine konservative Ausgangsposition. Die vierte Dimension fehlt der „weißen Garde“ noch. Im Grunde ist dieses Buch ein russischer Gesellschaftsroman Im Stil der Jahrhundertwende. Er bezieht den Glanz seiner Beachtung aus dem mittleren und späten Werk Bulgakows.

Die Zeitschrift „Rossija“, in der „Die weiße Garde“ 1925 erstmals abgedruckt wurde, stellte ihr Erscheinen nach einigen Fortsetzungen ein. Bulgakow erlebte bis zu seinem Tode — 1940 — kein vollständige Ausgabe des Werkes. Hinter dieser offiziellen Version verbirgt sich die Vermutung, daß Bulgakow den Roman vielleicht selbst gar nicht mehr publizieren wollte. Denn die ideologische Hürde wäre doch zu nehmen gewesen, zumal eine Dramatisierung unter dem Titel „Die Tage der Geschwister Turbin“ in Stanislawskijs Moskauer Künstlertheater mit großem Publikumserfolg lief.

Es ist übrigens anzumerken, daß nun, da im deutschen Sprachraum fast die ganze Prosa Bulgakows vorliegt, der Dramatiker noch völlig unbekannt und unaufgeführt ist

DIE WEISSE GARDE. Roman von Michail Bulg akow. Aus dem Russischen von Larissa Robtne. Her-mann-Luchterhand-Verlag. Neuwied und Berlin, 1970. 319 Seiten. DM 24.80.

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