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Blick hinter die Kulissen
Michail Bulgakow, 1891 in Kiew geboren und 1940 in Moskau gestorben, ist durch zwei Werke bekanntgeworden: „Der Meister und Margerita“ und „Hundeherz“. Das vorliegende Buch enthält fingierte Aufzeichnungen des Sergej Leontjewitsch, die dieser, kurz bevor er Selbstmord beging, dem Autor durch die Post zustellen ließ und zur Veröffentlichung anvertraute. Dieser Sergej Leontjewitsch, der bei einem Blättchen mit dem Titel „Die Dampfschiffahrt“ tätig ist, wird vom Herausgeber als ein erfolgloser Schriftsteller vorgestellt, der eine krankhafte Phantasie besitzt und unter Melancholie leidet. Seinen Stil bezeichnet Bulgakow als schlampig, seine Interpunktion als mangelhaft — und was soll man von einem Menschen halten, der von einer Brücke ins Wasser springt? Das Motto der Aufzeichnungen findet der Herausgeber „überflüssig und unangenehm", deshalb hat er es auch gestrichen. Es lautete: „Und ich werde geben einem jeglichen von euch nach euren Werken.“
Michail Bulgakow, 1891 in Kiew geboren und 1940 in Moskau gestorben, ist durch zwei Werke bekanntgeworden: „Der Meister und Margerita“ und „Hundeherz“. Das vorliegende Buch enthält fingierte Aufzeichnungen des Sergej Leontjewitsch, die dieser, kurz bevor er Selbstmord beging, dem Autor durch die Post zustellen ließ und zur Veröffentlichung anvertraute. Dieser Sergej Leontjewitsch, der bei einem Blättchen mit dem Titel „Die Dampfschiffahrt“ tätig ist, wird vom Herausgeber als ein erfolgloser Schriftsteller vorgestellt, der eine krankhafte Phantasie besitzt und unter Melancholie leidet. Seinen Stil bezeichnet Bulgakow als schlampig, seine Interpunktion als mangelhaft — und was soll man von einem Menschen halten, der von einer Brücke ins Wasser springt? Das Motto der Aufzeichnungen findet der Herausgeber „überflüssig und unangenehm", deshalb hat er es auch gestrichen. Es lautete: „Und ich werde geben einem jeglichen von euch nach euren Werken.“
Unser trauriger Held hat auch einen Roman geschrieben, den er einigen Journalisten und Schriftstellern vorliest, die ihm aber von der Veröffentlichung abraten, da die Zensur ihn nicht freigeben werde. Jetzt hat er ein Theaterstück verfaßt mit dem Titel „Schwarzer Schnee“ und es beim „Unabhängigen Theater“ eingereicht. Mit dem Brief des Regisseurs Iltschin, der ihn zu einem Besuch in der Studiobühne einlädt, beginnt sein Leidensweg. Das „Unabhängige Theater“ hat zwei Direktoren, zu denen man so schwer vordringt, wie der arme Franz K. zum Schloßherrn. Im Dampfbad-Entree, wie das Vorzimmer der beiden Mächtigen von den Schauspielern genannt wird, gerät er zunächst an die Supersekretärin Polyxena Tropezkaja, die mit einer Hand schreibt und mit der anderen das Telephon bedient, um Auskünfte über ihren Chef zu geben, der sich auf einer Indienreise befindet. Ihre Haupttätigkeit aber besteht darin, die Freikartenschnorrer abzuweisen, denn auch in Moskau wollen alle Leute umsonst ins Theater gehen Endlich wird Sergej Ljeontjewitsch zum Vorlesen seines Stückes in die Villa des Direktors eingeladen und bekommt den Bescheid: „Sehr gut. Jetzt müssen Sie anfangen, mit dem Material zu arbeiten!“ Aus der Schwester im Stück wird eine Mutter, eine wichtige Person wird hinausgeworfen, dafür ein Degenduell eingeschoben. Dann beginnen die Proben. Drei Wochen braucht man für die erste Szene — und das Stück hat deren sieben. Wann endlich wird die Aufführung stattfinden? Neid packt den armen Sergej Leontjewitsch auf den großen Dichter Ostrowski: von ihm hätte man bestimmt kein Degenduell verlangt. Aber er nimmt alles auf sich, jede Demütigung und jede Zumutung: „Krank vor Liebe zum Unabhängigen Theater hing ich an ihm wie der Käfer am Korken und besuchte abends die Vorstellungen.“
Solche Erlebnisse haben viele junge Autoren gehabt, und die Leidensgeschichte des Sergej Leontjewitsch vermöchte kaum unser Interesse zu
fesseln, wenn es sich hier nicht um einen Schlüsselroman handelte — wie beim Abdruck in der angesehenen Moskauer Literaturzeitschrift „Nowy Mir“ im Jahre 1965 zugegeben wurde. Bulgakow war nämlich selbst beim berühmten „Moskauer Künstlertheater", dessen Atmosphäre in den zwanziger und dreißiger Jahren er scharf-realistisch schildert. Nach einer mißglückten Inszenierung seines Moliere-Stückes im Jahre 1935 verließ Bulgakow sein
Stammhaus und wurde noch im gleichen Jahr Regisseur am „Bol- schoj-Theater“, wo er bis zu seinem Tod im Jahre 1940 blieb. Iwan Was- silewitsch ist der große Stanislawski; der persönlich nicht auftretende, aber oft genannte Mitdirektor Aristarch Platonowitsch ist Nemirowitsch-Dantschenko, die Sekretärin Tropezkaja ist Bulgakows Schwägerin usw.
Zu Lebzeiten Stanislawskis konnte an eine Veröffentlichung der „Aufzeichnungen eines Toten“ nicht gedacht werden, die Zensur hätte, wie Sergej Ljeontjewitschs ersten Roman, auch dieses Buch nicht freigegeben. Nun aber besitzen wir diese satirisch-kritische Schilderung, von der der Schauspieler Toporkow, ebenfalls ein Mitglied des Künstlertheaters, im Nachwort zu der Erstveröffentlichung in Rußland schrieb: die „gelegentlichen Übereinstimmungen“ seien „rein zufälliger Art“.
AUFZEICHNUNGEN EINES TOTEN. Roman von Michail Bulgakow. Hermann Luchterhand-V erlag. 272 Seiten. DM 17,80.
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