6795786-1971_10_07.jpg
Digital In Arbeit

Auto und Trompete

Werbung
Werbung
Werbung

Seit Prof. Grziimek, der Naturschutzbeauftragte der Bundesregie-rumig, München im Femsehen die „am meisten vergiftete Stadt Deutschlands" nannte, vergeht in der werdenden Olympiastadt fast kein Tag, ohne daß in irgendeiner Form das Thema Luftverschmutzung in der öflentlddikeit behandelt wird. Daten von den in den Straßen eingesetzten Meßwagen, Bilder von ab-brösetoden Sandsteinsäulen und blatternarbigen Bronzestatuen, erschreckend hohe Zahlen über Ki^ebs der Atmungswege, private und staatKche Abwehrmaßnahmen bis zium makabren Motto der „Lach- und Schießgesellschaft" („Wir werden uns schon schaffen") haben in wenigen Wochen etwas wie edne Massenpsychose geschaffen. Der „Luftver-schntutzer" ist als neuer Unhold ins Bewußtsein der Münchner getreten. Die Fakten sind in der Tat alarmierend, auch wenn Grzimek seinen

Superlativ durch keine Vergleichszahlen belegt und andere Städte durchaus ähnliche Verhältnisse haben.

Einem gesunden Menschen kann nach einer in der Bundesrepublik geltenden Vorsdirift während ednes 8-Stunden-Arbeitstages eine Konzentration von 50 ppm (Teile pro Million) Kohlenmonoxyd zugemutet werden. Nun registriert man aber tatsächlich in der gesamten Münchner Innenstadt oft mehr als das Doppelte dieses maximal zulässigen Wertes. In einer Unterführurug neben dem Bahnhof wurden als Mittelwert 73 ppm und als Spitzenwert 500 ppm ermittelt.

Für die teilweise hochgiftigen ndtro-sen Gase (Stickoxyde) gibt es den auf die Dauer maximal zulässigen Immissionsgrenzwert von 0,5 ppm. Die Konzentration dieser Gase hat sich biinnen eines Jahres in München verdoppelt und lag 1970 in der Innenstadt bed 0,58 ppm und in der gesamten Stadt bei 0,44 ppm. Das maximal zulässige Maß der Belastung durdi nitrose Gase ist in der Mündi-ner City ständig überschritten. Die Ursachen sind weitgehend be-kaamt. Mitte 1967 erreddite der Bestand an Personen- und Lastautos (für den Großteil des Kohlenmon-oxyds verantwortlich) in München 327.000. Bis Jahresanfang 1971 ist diese Zahl um 24 Prozent gewachsen. Berücksichtigt man noch den einströmenden Ballungsvenkehr aus der Region und den Femverkehr der Autobahnen, der durch die Stadt gezwängt wird, und auch, daß jedes landende und startende Düaenflug-zeuig eine Abgasmenge entwickelt, die der von 5000 bis 6000 Volkswagen entspricht, scheint die Gift- und Dunstglocke über der bayrischen Landeshauptstadt hinreichend erklärt. Trotz der seit 1961 laufenden Aktionen, die durch konsequente

Energiepolitik den Schwefeldioxydgehalt der Luft von 0,11 mg/cbm 1966 auf 0,061 mg/cbm 1969 herabdrückten, ist heute die Sonneneinstrahlung um zehn bis zwanzig Prozent geringer als im Umland. Münchens Oberbüngermeister Doktor Vogel hat ein Bündel von Gegenmaßnahmen gefordert: neue Meßsysteme, ein freiwilliges Wamsystem, eine Aktion Vergasereinstellung, Reduktion des Autoverkehrs in der Innenstadt. Mit der Inbetriebnahme der U- und S-Bahn im Frühjahr 1972 stünde den Verkehrstedlnehmem eine zumutbare Alternative zur Verfügung.

Höchste Zeit sei es endlich auch, daß den Automobilherstellem der Bundesrepublik für die Abgasentgdftung die gleichen Auflagen gemacht werden wie in den USA. Damit ist der Bund angesprochen, der siich In nächster Zeit einem wachsenden Druck ausgesetzt sehen dürfte. Vorerst bleibt das Gift in der Münchner Luft. Die Akticm des ADAC, der jetzt auf dem Königsplatz kostenlos die Vergaser richtig einstellt (drei Viertel sind falsch reguliert), Betriebe, staatliche Stellen, die Ihre Fahrzeuge überprüfen lassen, verstärkte Messungen und Gesetzes-initiatitven sind aber Zeichen dafür, daß die Gefahr erkannt wurde. Vogel zitierte das Wort vom Auto, das man, ähnlich einer Trompete, auch nicht überall gebrauchen könne.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung