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Chronik eines Aufstands

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Montag, 19. Oktober, 20 Uhr, Universität Wien: Es bedarf nur noch eines Funken, um den Unmut der etwa 800 im Auditorium maximum (Audi-max) versammelten Studenten zu entzünden. Längst hat es sich herumgesprochen, daß das Sparpaket der Regierung Verschlechterungen im sozialen Bereich mit sich bringt.

Gleich darauf fällt die Entscheidung, unverzüglich mit Protestmaßnahmen zu beginnen und den von der österreichischen Hochschülerschaft (ÖH) für den 11. November angekündigten Streik nicht abzuwarten. Schließlich besetzen einige Studenten das Audi-max.

Dienstag, 20. Oktober, 4 Uhr: Das plötzliche Auftauchen der Polizei veranlaßt die Besetzer, Rektor Wilhelm Holczabek aus dem Bett zu holen, der sofort herbeieilt und die Sicherheitskräfte energisch aus dem Haus weist.

Gegen 8 Uhr früh zeigt sich die Universität stark verändert. In den frühen Morgenstunden hat sich im Audi-max ein Streikkomitee gebildet. Riesige Plakate mit Aufrufen zum sofortigen Streik kleben an den kahlen Wänden. Allmählich sickert die Nachricht vom Generalstreik durch, die Mehrzahl der Hörsäle bleibt leer.

Dienstag, vormittag: Die ÖH, die sich von den Aktivitäten distanziert, sie aber finanziell unterstützt, verteilt Flugblätter mit einem Streikaufruf für den 11. November. Zahlreiche Professoren und Assistenten befürworten den Widerstand der Studenten, Rektor Holczabek verhandelt mit Wissenschaftsminister Hans Tuppy.

Dienstag, nachmittag: Der Lehrbetrieb ist inzwischen bundesweit in fast allen Universitäten lahmgelegt. Im Audi-max brodelt die Studentenseele. Ständig eintreffende Solidaritätserklärungen wie die der VÖEST-und Steyr-Betriebsräte werden stürmisch bejubelt.

Mittwoch, 21. Oktober, vormittag: Die Unzufriedenheit mit dem ÖH-Vorsitzenden Stefan Szysko-witz wächst, da dieser sich nur für studentische Belange einsetzen will und die Aktionen des Streikkomitees nicht anerkennt.

Mittwoch, gegen 12 Uhr: Das kalte und regnerische Wetter hindert etwa 15.000 Demonstranten nicht daran, mit Transparenten und Lautsprechern zum Ballhausplatz zu ziehen. Der Bundeskanzler will sich allerdings keiner öffentlichen Diskussion stellen, empfängt eine Delegation und verspricht eine flexible Regelung der'Familienbeihilfe. Zornige Demonstranten stürmen trotz beschwichtigender Worte der ÖH zum Parlament, wo die Kundgebung mit einem Sitzstreik am Ring beendet wird.

Am Abend wird ein „Delegiertenrat“ gewählt, um den Streik besser zu organisieren und die ÖH endgültig zu .entmachten.

Donnerstag, 22. bis Freitag, 23. Oktober: Eine Bombendrohung sorgt im Audi-max vorübergehend für Aufregung, erweist sich aber als dummer Scherz. Immer mehr Studenten und nun auch Schüler gehen auf die Straße und verkünden lautstark ihre Forderungen.

Samstag, 24. Oktober, 13.30 Uhr, Wien-Westbahnhof: Zur angekündigten Großdemonstration gegen „Arbeitslosigkeit, Sozialabbau und Büdungsstopp“ finden sich mehr als 30.000 Betroffene ein. Wiederum wird eine Delegation im Bundeskanzleramt empfangen und vertröstet.

Sonntag, 25. bis Montag, 26. Oktober: Die Verhandlungsbereitschaft der Regierung veranlaßt Stefan Szyszkowitz, die Aussetzung des Streiks zu verkünden. Damit zieht er sich allerdings nur Ärger zu. Man fordert ihn mehrfach zum Rücktritt auf und beschließt, den Streik unbefristet und landesweit fortzusetzen.

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