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Das letzte Buch

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Autoreh, die aus Prag stammen, haben es im Leben nicht leicht. Sie sind, und diese Tatsache habe ich versucht (ohne Erfolg) zu klären, immer durch diese Stadt gekennzeichnet. Und da dieses Omen scheinbar leicht zu erkennen ist, und zwar nicht nur in ihrem Werk, sondern auch in ihren meistens sehr bunten Schicksalen und Lebenswegen, fällt jedem westlichen Betrachter, Leser und Kritiker sofort der Name Franz Kafka ein, der nie ohne in Prag zu leben ein Franz Kafka geworden wäre.

Martin Gregor-Dellin hat im Nachwort zu Jan Lustigs achtundzwanzig Erzählungen das „Brandzeichen“ Franz Kafkas und somit auch Prags sofort erkannt. Aber so einfach ist es mit dem Prager Kennzeichen wieder nicht...

In Prag, und das will ich betonen, kann sich keiner vor seinen Vorahnen „sicher“ fühlen. Bei jedem redlichen Tschechen „spukt“ in der Vergangenheit ein jüdischer Großvater oder Großmutter, eine Urgroßmutter, die ihre „Ehre“ mit einem Österreicher oder Deutschen „verlor“. Dies alles spielt nicht die entscheidende Rolle. Vorausbestimmend für einen Autoren ist die Atmosphäre, die er in Prag einatmete. Und als Jan Lustig noch in Böhmen lebte, da kannte er ganz bestimmt nicht Franz Kafka, Jaroslav HaSek und Karel Capek, drei Namen und Eckpfeiler eines geheimnisvollen Dreiecks in dessen Raum alle, die hier geboren wurden oder lebten, ihr Omen bekommen haben. Schreibt ein Autor deutsch und ist er ein Jude, dann wird er hier im Westen sofort in die Nähe von Franz Kafka gerückt; ein Tscheche kommt wieder nicht von Jaroslav Hasek und seinem „Braven Soldaten Schwejk“ los, und was Karel Öapek betrifft, der die Synthese von Franz Kafkas Melancholie und Haseks bissiger Ironie darstellt, den hat man im Westen schon ganz vergessen ...

Jan Lustig kommt also aus diesem Dreieck. Seine Erzählungen, die jetzt bei Ehrenwirth in München erscheinen, sind für mich wieder ein Beweis dafür, daß man aus dem Bann des Dreiecks nicht loskommt, auch wenn man, wie Jan Lustig, bis 1933 in Berlin lebte, dann in Amerika und jetzt in München zu Hause ist. In allen seinen Erzählungen habe ich mit einer Genugtuung ein Stück böhmischer Literatur und Lebensphilosophie gelesen: Die Grenzen zwischen der Realität und dem Absurden sind hier verschwommen, das Gute und das Böse sind keine Grenzsteine, die man ungestraft übertreten könnte. Aber: Wo liegen denn diese Grenzen...? Jan Lustig, ein alter, erfahrener und kluger Mann und Künstler, weiß es nicht.

Es lohnt sich, Jan Lustigs Erzählungen zu lesen. Sie muntern unsere Unsicherheiten auf und sie zwingen uns, wenigstens für einige Stunden unsere Eitelkeiten abzulegen. (Jan Lustig ist während der Niederschrift dieser Rezension in München verstorben.)

NARRHEIT, LIEBE, TOD UND TEUFEL: Von Jan Lustig. Erzählungen, Ehrenwirth-V'erlag, München 1979, öS 148,50.

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