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Die Hatheyer als Mutter Courage

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„Mutter Courage”, das zu de: stärksten Stücken Brechts gehört, wenn es nicht sein bedeutendstes ist, wurde mitten im Krieg am Zürcher Schauspielhaus uraufgeführt. Das Manuskript war auf Mikrofilmen durch den Diplomaten eines neutralen Landes — die Schweiz war ja von Hitler sozusagen eingekreist — nach Zürich gelangt. Damals inszenierte Lindtberg und die Hauptrolle spielte die Giehse.

Jetzt hat der Direktor des Theaters, Harry Buckwitz, die Regie übernommen. Es ist nicht seine erste Inszenierung dieses Stückes, sondern seine dritte. Aber jede dieser Inszenierungen war „ganz anders” als die vorhergehende. Diesmal hat er sich für Bühnenbild und Kostüme den Franzosen Hubert Monloup geholt- Der läßt die Kostüme, wie sie zu sein haben — es handelt sich ja um Figuren aus dem Dreißigjährigen Krieg, die also nicht gut in Blue jeans auftreten können.

Aber die Dekorationen, respektive die Dekoration! Es ist ein Rundhori- zont aus weißer Seide. Durch diese weiße Seide fällt das Licht. Das macht gute Effekte, aber: weiße Seide und der Dreißigjährige Krieg! Weiße Seide und Hunger und Elend? Gespielt wird hervorragend. Man müßte eigentlich alle Schauspieler nennen. Immerhin soll erwähnt werden: Hans-Dieter Zeidler als Koch, lustig, verschmitzt, in jedem Augenblick eindruckvoll. Lukas Ammann als Feldprediger, gewissermaßen der Stellvertreter Brechts in diesem Stück, der Lügen, indem er sie preidigt, als solche entlarvt. Ganz hervorragend in der winzigen Rolle einer Bauersfrau: Hanna Burgwitz. Das ist überhaupt das Besondere an dieser Aufführung: daß auch die kleinsten Rollen vorzüglich besetzt sind. — Die beiden, Söhne der Courage könnten nicht besser besetzt sein als durch Bernd Rumpf und Alfred Pfeifer. Ein Kabinett-Stück: die stumme Kattrin. Sonja Musthoff, seit einem Jahr in Zürich bereits im Kommen, hat hier etwas fast Einmaliges geleistet. Gewiß, diese Rolle ist so gut, daß man sie nicht schlecht spielen kann. Aber wie viele Facetten hat doch diese Kattrin!

Und dann die Mutter Courage. Heidemarie Hatheyer spielt sie. Sie ist ganz anders als die früheren Mütter Courage. Sie ist die derbe Händlerin, aber auch die weiche Mutter. Und vor allen Dipgen ist sie, im Gegensatz zu der berühmten Therese Giehse, die die Uraufführung spielte und von der viele sagen, nach ihr könne überhaupt niemand mehr die Mutter Courage spielen, eben eine Frau, mit der Männer, wie es ja das Stück auch Will, noch etwas anfangen möchten. Um so erschütternder dann ihr „Fall” zur Bettlerin und schließlich zu der alleingebliebenen Frau, deren Kinder tot sind und die nun mühsam ihren Wagen durch den Krieg weiterschleppt, immer noch hoffend, am Krieg zu verdienen. — Eine erschütternde Leistung. Das Publikum konnte sich vor Beifall gar nicht lassen und brachte der Hatheyer Ovationen.

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