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Schlechtes Zeugnis fürs Publikum?

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Die Salzburger Regiearbeit von Lutz Hochstraate an Bertolt Brechts Chronik aus dem Dreißigjährigen Krieg „Mutter Courage und ihre Kinder“ ist - vorweggesagt - im großen und ganzen insoweit gelungen, als kein Bruch, kaum eine schwache Stelle auffällt. Nun ist dieses Stück eines von jenen, mit denen man ein Ensemble und Protagonisten vorführen kann.

Vorbeugend hat man deshalb schon in den letzten „Theatemachrichten“ gesagt, als man über die Probenarbeit zu diesem Brecht-Stück berichtete, Frau Barbara Rütting betrachte sich als zum Ensemble gehörig. Das spricht durchaus für Frau Rütting, die Mutter Courage, die mir aber weniger gefallen hat als die Courage im Grazer Schauspielhaus vor einem Jahr. In der Zwischenzeit kann das Stück doch nicht seine Nähe zu uns verloren haben. Der Text und die Aktion müssen einem doch das Herz zusammen- krampfen. Liegt es also doch an der Substanz dieser Salzburger Aufführung? Kann sich ein Ensemble wie das des Salzburger Landestheaterg an einen so mächtigen poetischen Text und Bilderbogen wie Brechts „Mutter Courage“ wagen? Es gibt da, wieder ohne Frau Rüttings in summa sehr beachtliche und runde Leistung vor allem nach der Pause zu schmälern, Isolde Stiegler im Ensemble. Vielleicht hätte sie die Courage schlecht gespielt, was ich nicht glaube. Denn man erinnert sich an Frauengestalten, die sie zu verkörpern hatte, die sozusagen wie die Courage auf zwei Ebenen existieren: Sie lebt vom Krieg, will aber ihre Kinder in den Frieden retten. Im Dreißigjährigen Krieg ein Widerspruch in sich. An diesem Bruch, die jeweiligen

Augenblicksentscheidungen den momentanen Geschäftsinteressen unterzuordnen, wären sicherlich die Gestaltungsmöglichkeiten Frau Stieglers zumindest zu prüfen gewesen.

Wer nun nicht in der Pause gegen halb zehn Uhr nach Hause ging (oder wegen der Obuslinien mußte), versäumte die stärksten Szenen: Das Betteln der Courage mit dem Koch (Wolf- gang Weiser) vor dem Pfarrhaus und die Szene auf dem Bauernhof. Da ist Brecht präsent, wenn die stumme Kattrin (Susanna Szameit) auf dem Dach die Stadt wachtrommeln will und dann die Courage eine Plache von ihrem Wagen holt, ihr totes Kind zudeckt und sich schließlich selbst einsam vor ihren Wagen spannt.

Mag sein, daß dem Ensemble die Bühne im Haus in der Schwarzstraße (Umbauende voraussichtlich Ende Februar) mehr Sicherheit gegeben hätte. Das Kleine Festspielhaus, die nicht vorhandene Akustik, unterstützt keineswegs das Spiel. Als zehn Minuten vor elf Uhr der Vorhang zuging, schwoll der Beifall nicht zu den Höhen an, die man hätte erwarten müssen, nachdem man schon jeden Auftritt Georges Ourths als Chronisten beklatscht hatte. Das Premierenpublikum stömte unnachsichtig zur Garderobe. War das Stück für Salzburg zu „politisch“? Kaum, denn Hochstraate enthielt sich geradezu auffällig gegenüber anderen Gelegenheiten der zusätzlichen Indoktrinierung. Oder hat die Chronik zu lange gedauert? Dann hat sich daä Publikum allerdings an diesem Sonntag eine schlechte Zensur erteilt. Denn Stück und Aufführung waren, bei allen Einwänden, keineswegs in die Länge gezogen.

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