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Appell für Solidarität

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Der frühere deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt legt einen überzeugenden Band über politische Zukunftsperspektiven vor.

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Der frühere deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt legt einen überzeugenden Band über politische Zukunftsperspektiven vor.

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Die Solidarität — und ebenso die Vernunft - gebiete den Westdeutschen, auf ihren Lebensstandard am Ende der achtziger Jahre zurückzukehren und dort für längere Zeit zu verharren: das sei zur Bewältigung der nach der Wiedervereinigung entstandenen Probleme Ostdeutschlands unerläßlich, fordert der deutsche Alt-Kanzler Helmut Schmidt in seinem neuen Buch.

Wenn der Lebensstandard in den neuen Bundesländern bis 2000 auf zwei Drittel des westdeutschen Niveaus angehoben werden soll, dann ist dorthin ein verstärkter Kapitalfluß notwendig, und zwar nicht nur aus öffentlichen, sondern vor allem aus privaten Quellen. Die Treuhandanstalt zur Sanierung und Privatisierung ostdeutscher Betriebe ist erheblich überfordert, die penetrante Ver dächtigung von Ostdeutschen, die seinerzeit mit der Stasi in Berührung kamen, müsse aufhören.

Von diesen Überlegungen ist es nur ein kleiner Schritt zur gegenwärtigen deutschen Innenpolitik: Zu den großen Aufgaben der Erziehung und der Bildungspolitik, xur Politikverdrossenheit und zur unerläßlichen Parteienreform, zu den Aufgaben der Bundeswehr, zur Ausländerfrage — Schmidt hält nichts von der sogenannten multikulturellen Gesellschaft, sieht aber im Problem des friedlichen Zusammenlebens mit dem Islam eine der größten Zukunftsaufgaben Europas.

In den Kapiteln über innenpolitische und wirtschaftliche Fragen läßt sich der erfahrene Politiker auf zu viele Details ein, auch zum Abschweifen auf allzu zeitgebundene Probleme (Solidarpakt, Wahlen von 1994). Die mehrfache Kritik an Helmut Kohl konn te nicht ausbleiben, doch bemüht sich Schmidt um Fairness.

Viel eindrucksvoller sind Seine Stellungnahmen zur Zukunft Europas, zum Vertrag von Maastricht („eine blutleere und enttäuschende papierene Konstruktion“) und zu den großen internationalen Problemen, von den Wanderungsströmen über die Grenzen und der Bevölkerungsexplosion bis zur Entwicklungshilfe: „Wer große Armeen aufbaut und zu dem Zweck Waffen importiert, sollte keinen Anspruch auf Entwicklungshilfe haben.“

Ein trotz weniger anfechtbarer Passagen hochinteressantes, zukunftsweisendes, gut zu lesendes und von politischem Weitblick geprägtes Buch.

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