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Ein fulminantes Debüt

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Ein Romanerstling ist anzuzeigen, bei dessen Lektüre man ins Staunen gerät, denn sie schlägt einen sofort in ihren Bann. Rudolf Habringer heißt der Autor; er ist 1960 in Oberösterreich geboren, hat in Salzburg Germanistik und Theologie studiert und bisher Erzählungen veröffentlicht. Regionale Herkunft und seine literarischen Fähigkeiten weisen Habringer als Nachbar und Nachfahr Thomas Bernhards aus. Damit nicht genug: „Der Fragensteller" führt sowohl dem Schauplatz als auch der Konstellation nach in jene Gebirgsgegend, die der alte Meister in seinem Romandebüt „Frost" beschrieben hat.

Der Ich-Erzähler, in dessen Gestaltung autobiographische Züge eingeflossen sind, schreibt an einer philosophischen Dissertation, die nicht recht vorankommen will. Viel lieber unterhält er sich mit Bekannten und Passanten, deren Lebensgeschichten er notiert. Zunächst sind es die Bewohner der Stadt Salzburg, denen er sein Ohr leiht. Als aufmerksamem Zuhörer wird ihm bald klar, daß sich hinter den Masken Menschen verbergen, daß hinter deren scheinbar geregeltem Leben Abgründe lauern. Da drängt es ihn hinaus aus der Stadt, hinauf ins Gebirge, wo er mit seiner Arbeit voranzukommen hofft.

Das Land erweist sich aber als Kehrseite der Stadt; nicht natürliche Gemeinschaft herrscht in dem Dorf, sondern die alltägliche Grausamkeit zwischen Kirche, Wirtshaus und Friedhof. Zunächst Außenseiter und Eindringling, wird der Erzähler von den Dorfbewohnern, die dankbar sind, einen diskreten Fremdling als Zuhörer gefunden zu haben, allmählich toleriert. Jedoch, aus dem Fragensteller und beobachtenden Subjekt wird zunehmend ein beobachtetesObjekt, aus dem Zuhörer ein Ausgehorchter. Er muß sein Leben in Frage stellen lassen. Die Registratur der Geschichten in dem Dorf an der Grenze wird für den Erzähler zur Grenzerfahrung, weil ihn seine Notizen dazu zwingen, die eigene Geschichte einem kritischen Blick zu unterwerfen.

Da stellt sich heraus, auch er lebt über einem Abgrund, auch er ist drauf und dran, seine Biographie daneben-zuleben, weil er sich selber so fremd ist wie den anderen. Dies erkennend, klappt er die Mappen mit den philosophischen Exzerpten zu, packt die Koffer und reist ab. Offen bleibt wohin; wahrscheinlich weg von der Wissenschaft, hin zur Literatur.

Habringer gelingt es, die Lebensläufe der verschiedensten Menschen auf wenige wesentliche Seiten zu komprimieren. Ein Reigen von Stadt- und Dorfbewohnern darf Revue passieren, und es ist beachtlich, über welch stilistische Bandbreite Habringer zur Charakterisierung seiner Figuren verfügt. Er fängt die Party-Atmosphäre bei einem Diplomkaufmann ein, blendet aus einem Kinofilm über in die Wirklichkeit, schildert im jeweiligen Rhythmus die Insassen in Zug oder Auto, läßt Discomusik durch eine Bar dröhnen und das Schweigen in einer Telefonleitung hörbar werden. Wirtshausgespräche, dumpfes Gebrüte, Rausch und das Hinüberblenden in die schwebende (Un)wirklich-keit der Träume - all dies beherrscht Habringer fast schon virtuos.

Der Leser gerät unwillkürlich in den Sog dieser intensiven, ausgefeilten Prosa, die ständig weiter fragt, die alle Schattierungen im Alltag und in den Nachtseiten des Lebens einfangen will. Anders als beim übertreibenden Vernichtungsgestus der Bernhard-schen Prosa geht es ihm um exaktes Beobachten und Registrieren; deshalb wird dauernd nachgebohrt. Hier hat er bereits eine Könnerschaft erreicht, die Respekt abnötigt.

Nur wenige Einwände drängen sich auf: In einigen Passagen, allerdings stets in der stilisierten indirekten Rede gehalten, sprechen die Figuren fast so differenziert-eloquent wie der Erzähler, und manchmal gebärdet sich dieser allzusehr als Wortakrobat in Bernhardscher Manier. Doch kann man das einem Romandebütanten nachsehen, der mit solchen Sprachkünsten aufzuwarten vermag. Habringer ist -ein enorm talentierter Autor, dem man wünschen möchte: Geduld, einen langen Atem, Mut zur eigenen Richtung und eine wachsende Leser-Schar.

DER FRAGENSTELLER: Von Rudolf Habringer, Styria Verlag, Graz/Wien/Köln 1992. 246 Seiten, öS 250,-.

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