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Ein Lehrer jüdischer Mystik

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Nach kurzer Krankheit starb Professor Gerschom Scholem im Alter von 85 Jahren in Jerusalem. Er gilt als die größte internationale Kapazität der jüdischen Mystikforschung, hat viele Preise und wissenschaftliche Auszeichnungen erhalten, war Vorsitzender der israelischen Akademie für Natur-und Geisteswissenschaften.

Gerschom Scholem gab noch einige Wochen vor seinem Tod einen glänzenden Kommentar zum literarischen Werk eines seiner besten Freunde, des Nobelpreisträgers Schmuel Josef Agnon, in dem er die herkömmliche Literaturkritik über Agnon völlig über den Haufen warf. Hier zeigte sich eine der Fähigkeiten von Scholem: in seiner Forschung weder etwas zu vertuschen noch auszulassen, für ihn war die Wahrheit heilig.

Das Hauptverdienst von Scholem, sein Lebenswerk, ist die Wiederentdeckung der jüdischen Mystik und ihre Integration in die jüdische Geschichte. Sein Buch über den vermeintlichen Messias Schabtei Zwi gilt bis heute als Standardwerk der mes-sianischen Strömungen im Judentum.

1897 als Sohn einer vermögenden Familie geboren, schloß Gerschom Scholem sich mit vierzehn Jahren dem Zionismus an und begann damals als Autodidakt Jiddisch und Hebräisch zu lernen. Er studierte dann an den Universitäten von Bern, Berlin, Jena und München zunächst Mathematik, dann Philosophie und Orientalische Sprachen. 1923 kam er nach Jerusalem, und zwei Jahre später wurde er an der damals neu gegründeten hebräischen Universität von Jerusalem aufgenommen, an der er bis zur Pensionierung 1965 den Lehrstuhl für jüdische Mystik innehatte.

Der jüdische Mystizismus litt darunter, daß das offizielle Judentum ihn wie ein „uneheliches Kind" der jüdischen Geschichte betrachtete. Viele nehmen an, daß in der Mystik christlicher und heidnischer Einfluß zum Ausdruck kommt, daß es sich nur um Abweichungen der jüdischen Geschichte handle.

In der Errichtung des Judenstaates sah Scholem eine weitere Verwirklichung seines Lebensziels. Er hatte immer gegen die Zensur gekämpft, auch wenn es eine freiwillige war, die sich die Juden selbst auferlegt hatten — unter dem Motto: „Was werden NichtJuden über uns sagen?"

„Heute im Judenstaat" so Scholem kurz vor seinem Tode, „sind wir davon befreit, uns immer wieder zu fragen, was andere über uns denken. Vielleicht wird eines Tages auch die Geschichte der jüdischen Unterwelt veröffentlicht werden. Ich befasse mich mit deren Erforschung sozusagen als Gegengewicht zu meiner jüdischen Mystikforschung. Als ich seinerzeit in München lebte, habe ich über die jüdische Unterwelt, über jüdische Räuber- und Mörderbanden im Rheinland und anderswo gelesen. Es war nicht weniger interessant als die Kabala. Das ist ja auch ein Zug der Juden."

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