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Ernst Lothar f

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50 Jahre nach dem Erscheinen seines ersten literarischen Versuchs (ein Gedichtband), 40 Jahre nach einer epochemachenden Burgtheaterinszenierung von „Ein Bruderzwist in Habsburg”, die eine Grillparzer-Renaissance bewirkte, 30 Jahre nach Inangriffnahme des größten Bestsellers der Zweiten Republik („Der Engel mit der Posaune”), 20 Jahre nach einer Aufführung von „Kabale und Liebe”, die das bereits totgesagte Schauspiel bei den Salzburger Festspielen zu neuem Leben erweckte — und 10 Jahre nachdem er seine letzte Theaterkritik geschrieben hatte (über Kortners „Othello” am Burgtheater) ist Ernst Lothar gestorben.

Davor und dazwischen lagen eine aufsehenerregende Tätigkeit als Staatsanwalt, wovon der Roman „Die Mühle der Gerechtigkeit” Zeugnis ablegt, eine steile Karriere als Regisseur — drei Jahre nach seiner ersten Inszenierung war Lothar bereits Direktor des Theaters in der Josefstadt —, die Tragik der Emigration zusammen mit seinen Freunden Max Reinhardt und Franz Molnär, die Schwierigkeiten der Rückkehr (im gleichnamigen Roman festgehalten) und ein zwanzigjähriger Kampf für das Verständnis der österreichischen Dramatiker von Grillparzer über Schnitzler und Hofmannsthal bis zu Fritz Hochwälder.

Das Unverwechselbare an Regisseur Lothar war seine Fähigkeit, Dichtung transparent zu machen, Atmosphärisches zu verdichten, Regie nie sichtbar und den Autor stets unüberhörbar werden zu lassen; die Wahl der Stücke, die er inszenierte, von Gorkis „Nachtasyl” über Millers „Tod des Handlungsreisenden”, Montherlants „Port Royal” und Schnitzlers „Liebelei” zeugte vom klaren Willen, auf der Bühne „den Einzelfall stets zum Menschheitsfall werden zu lassen”, wie er in seinem letzten Buch „Das Wunder des Überlebens” einbekannte. Das Unverwechselbare am Schriftsteller Lothar war das Einbeziehen der Zeit in allen ihren Erscheinungsformen, so daß nicht ohne Grund sein unpolitischestes Buch „Romanze in F” seine gültigste dichterische Hinterlassenschaft bleiben wird.

Ernst Lothar zählt zu den letzten jener dahinsterbenden Generation, die das alte Österreich- Ungarn noch bewußt erlebt und im Ersten Weltkrieg verteidigt hat und für die es eine Selbstüberwindung bedeutete, sich zur Ersten und später zur Zweiten Republik zu bekennen; sein Weg vom Dragoner-Oberleutnant bis zum Ehrenmitglied des Wiener Burgtheaters war kein bequemer; er ist ihn stets aufrecht gegangen. Österreich ist um einen bedeutenden Menschen ärmer.

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