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Ferragosto-Katzen j ammer

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Die aus den Ferien zurückgekehrten Italiener finden in diesen Tagen besonders in den Großstädten die Lebensmittelpreise dermaßen erhöht, daß die jüngsten Erinnerungen vom am Meeresstrand oder in den Bergen verbrachten Urlaub bald vergessen sind. Seit Ende Juli sind zahlreiche Produkte um 5 bis 15 Prozent kostspieliger geworden. War die Teuerung vorher beträchtlich, so konnte sie seit Beginn des Ferragosto-Ferien-monats als galoppierend bezeichnet werden. Brot, Fleisch und Früchte kosten heute 30 Prozent, Schinken, Käse, Milch 15 bis 20 Prozent, öl, Wein, Kleider 10 Prozent mehr als vor Jahresfrist.

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Die aus den Ferien zurückgekehrten Italiener finden in diesen Tagen besonders in den Großstädten die Lebensmittelpreise dermaßen erhöht, daß die jüngsten Erinnerungen vom am Meeresstrand oder in den Bergen verbrachten Urlaub bald vergessen sind. Seit Ende Juli sind zahlreiche Produkte um 5 bis 15 Prozent kostspieliger geworden. War die Teuerung vorher beträchtlich, so konnte sie seit Beginn des Ferragosto-Ferien-monats als galoppierend bezeichnet werden. Brot, Fleisch und Früchte kosten heute 30 Prozent, Schinken, Käse, Milch 15 bis 20 Prozent, öl, Wein, Kleider 10 Prozent mehr als vor Jahresfrist.

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Der Hauptgrund für die galoppierende Teuerung liegt in der althergebrachten, bereits von den alten Römern überlieferten Institution des Ferragosto. Die meisten Läden bleiben wenigstens fünf, meistens aber 15 bis 20 Tage geschlossen, und jene, die geölinet sind, sehen alte Ladenhüter wie frische Brötchen weggehen. Jedermann muß leben, und im Ferragosto möchte man am wenigsten darben. Und so ist denn die

Versuchung für die Geschäftsleute groß, die vermehrte Nachfrage nach ihren Waren auszunützen, indem sie für diese den höchstmöglichen Preis ansetzen. Was während des Höhepunktes des Ferragosto, in der Monatsmitte um das Fest Maria Himmelfahrt, Schule macht, findet gelehrige Schüler. Die Ladenbesitzer, die aus dem Urlaub zurückkehren, möchten von den Glanzzeiten der skrupellosen Ferragosto-Profiteure auch noch etwas haben und passen ihre Preise den neuen Verhältnissen an.

Versuchsballon

Um die Preise möglichst auf den Stand von Ende Juli zurückzubringen und um wenigstens zu verhüten, daß die Teuerung auch noch nach dem Ferragosto galoppiert, verschickte Ministerpräsident Giulio Andreotti an alle 94 Provinzpräfek-ten ein Rundschreiben mit der Bitte, den Preisstand der Waren in ihrem Bereich zu überwachen und Maßnahmen vorzuschlagen, um Mißbräuchen wirksam entgegenzutreten. Gestützt auf diese Sondervollmacht, verfügte der Präfekt von Rom, Giovanni Ravalli, für zwei Monate die Einführung der Preiskontrolle, wie sie nach dem Krieg Und kurz nachher gang und gäbe war. Zur gesetz-ichen Absicherung seiner Verfügung mußte der römische Präfekt nicht von ungefähr ein Dekret König Umbertos II. heranziehen. Daß die Preiskontrolle ungute Erinnerungen an eine Zeit des Wuchers und der Knappheit weckt, versteht sich von selbst.

Seit dem 28. August werden täglich in den Zeitungen Preislisten veröffentlicht, die von den Detail-

“händlern einzuhalten sind. Die vermerkten Preise richten sich nach den Ansätzen der Enti Communali del Consumo, dieser seit der Faschistenzeit von den Gemeinden selbst betriebenen Läden. Wer teurer verkauft als die Gemeinde Rom, riskiert eine Buße von umgerechnet mindestens 24.000 Schilling oder gar Gefängnis bis zu acht Jahren. Polizisten und Karabinieri sind angehalten, Stichproben in den Läden ihres Funktionsbereiches durchzuführen.

In der italienischen Hauptstadt ist man nun gespannt darauf, wie sich Ravallis Verfügung in der Praxis auswirken wird, und ob andere Städte und Provinzen mit galoppierender Preissteigerung seinem Beispiel folgen werden.

Vielleicht geht es Andreotti bei seinem Rundschreiben aber nicht nur um die Waren, sondern um die Arbeitspreise, also um die Löhne. Indem er die Teuerung der Endprodukte ächtet, will er nicht zuletzt jede andere Teuerung gebrandmarkt sehen, wie sie sich in der Folge eines abermals heißen Streikherbstes leicht ergeben könnte. So dürfte es sich beim ganzen Preisstopp-rummel last, not least, um einen Schachzug gegenüber den Gewerkschaften handeln, die denn auch nicht von ungefähr Andreottis Rundschreiben im allgemeinen und Ravallis Maßnahme im besonderen bekämpfen, ohne in der Lage zu sein, überzeugende, in einer grundsätzlich noch freien Wirtschaft realisierbare Verfahren gegen die galoppierende Inflation vorzuschlagen. Und im übrigen gilt es, zu bedenken, daß eine möglicherweise im Oktober zu beschließende Abwertung der Lira sinnlos wäre, wenn ihr Vorteil — die Begünstigung der Industrie zur Verbesserung des Absatzes ihrer Produkte im Ausland — durch eine übermäßige Steigerung gleichsam vorzeitig verausgabt und vertan würde. Andreottis Antiteuerungs-dekret kann erlassen worden sein, um einer unausweichlich gewordenen Liraabwertung zum Erfolg zu verhelfen — oder um ihr noch rechtzeitig zuvorzukommen.

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