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Gegen manipulierte Musen

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Die 5. Internationale Schriftstellertagung in Fresach (Kärnten), an der 62 Autoren aus der BRD, DDR, Italien, Schweiz, Ungarn, Rumänien, Jugoslawien, Polen und Österreich teilnahmen, erreichte schon am ersten Tag mit dem Referat des Trie-stiner Universitätsprofessors Claudio Magris den ersten Höhepunkt. Mag-ris sprach im Referat „Die Nähte der Zeichen — Musil und die Krise der Sprache“ von der Skepsis des Dichters gegen die Sprache. Vom Erlöschen der Sprache in die Dunkelheit zurück, vom Entschwinden der Dinge aus dem Horizont der Erzählung, vom Leben jenseits der Sprache, jenseits des Zeichens, war die Rede. In der Diskussion hat sich das starke Interesse der oststaatlichen Autoren (besonders aus Ungarn) für eine neue Bewußtheit der historischen Verknüpfung (Musil) im alten Mitteleuropa gezeigt. - Der bekannte kroatische Dramatiker und Essayist Antun Soljan stellte sich in seinem Vortrag über die „manipulierten Musen“ eindeutig gegen die eindimensionalen Richtungen in der heutigen Literatur, gegen die plakative politisch engagierte und gegen die abstrakte Literatur.

Parteiliche Literatur bezeichnete Soljan als „konservativen Akademismus schlimmster Art“. Er warb für eine Poesie der Verantwortung, denn „Poesie ohne Moral ist steril“.

Nachdem am, zweiten Tag Inge-borg Drewitz aus Westberlin eine Realismusdebatte angeregt hatte, bemühte sich Christian Wallner aus Salzburg in seinem Referat „Keine Zeit für die Ewigkeit — Bemerkungen zu den Aufgaben realistischer Literatur heute“, die Brauchbarkeit der „realistischen“ Literatur in heutiger Zeit zu beweisen. Allerdings war besonders bei Ingeborg Drewitz der Realismusbegriff so breit aufgefaßt, das es bei den anwesenden Autoren kaum zu Widerspruch, eher zu Ergänzungen gekommen ist. Fast alles wurde als „Realismus“ aufgefaßt: Literatur der Arbeitswelt, „sozialistischer Realismus“, „Realismus ohne Ufer“ (Garaudy), „die innere Realität eines Werkes“, „das realistische Gesicht eines Märchens“. Mit dem Referat des polnischen Schriftstellers Lothar Herbst, der über die neue, offene Literatur in Polen gesprochen hat, sind am 30. Mai die Fresacher Literaturgespräche zu Ende gegangen.

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